Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
Vom Netzwerk:
dem Ergebnis zufrieden sein wirst. Sehr zufrieden.« Das Lächeln. »Hat dir schon mal jemand gesagt, wie ähnlich du Angie siehst, Mona?«
    Sie blickte schweigend zu ihm hoch. Setzte sich mühsam auf und würgte eine halbe Tasse schwarze Plörre hinunter. Das Sandwich konnte sie nicht mal anschauen, aber von den Gebäckstücken aß sie eins. Es schmeckte wie Pappe.
    Baltimore. Sie wusste nicht mal genau, wo das lag.
    Und irgendwo hing ein Drachenflieger für alle Zeit über einer sanften grünen Landschaft, Pelz an ihren Schultern, und Angie musste noch immer dort sein, lachend …

    Als Prior eine Stunde später im Foyer die Rechnung unterschrieb, sah sie Eddys schwarze Krokoklon-Koffer auf einem selbstfahrenden Gepäckkarren dahinrollen, und in diesem Moment wurde ihr endgültig klar, dass er tot war.
     
    An Geralds Praxis im dritten Stock eines Wohnhauses, das sich Prior zufolge in Baltimore befand, war ein Schild mit altmodischen Lettern angebracht. Das Haus war eins jener Gebäude, die nur aus einem Grundgerüst bestehen, in das die gewerblichen Mieter dann ihre eigenen Module einstöpseln. Eine Art vertikales Caravan-Camp. Überall schlängelten sich Kabelstränge, Glasfaserleitungen, Wasser- und Abwasserrohre.
    »Was steht da?«, fragte sie Prior.
    »Gerald Chin, Zahnarzt.«
    »Sie haben gesagt, er ist plastischer Chirurg.«
    »Ist er auch.«
    »Warum können wir nicht einfach in’ne Boutique gehn wie alle andern auch?«
    Er antwortete nicht.
    Im Moment empfand sie eigentlich nicht viel, und irgendwo in ihrem Innern wusste sie, dass sie weniger Angst hatte, als es angebracht gewesen wäre. Aber vielleicht war das gut so, denn wenn sie richtig Schiss hätte, wäre sie unfähig, was zu unternehmen, und dabei wollte sie unbedingt raus aus dieser undurchsichtigen Sache. Auf der Herfahrt hatte sie so ein unförmiges Ding in der Tasche von Michaels Jacke bemerkt. Sie hatte zehn Minuten gebraucht, um rauszufinden, dass es sich um einen Schocker handelte, wie nervöse Schlipse ihn bei sich trugen. Er fühlte sich an wie ein Schraubenziehergriff mit zwei stumpfen Metallbügeln anstelle des Stiels. Man lud ihn vermutlich in der Steckdose auf; sie hoffte nur, dass Michael ihn geladen hatte. Sie glaubte nicht, dass Prior etwas
von seiner Existenz wusste. Die Dinger waren fast überall erlaubt, weil sie angeblich keine bleibenden Schäden anrichteten, obwohl Lanette ein Mädchen gekannt hatte, das mit so einem Teil übel zugerichtet worden und nie mehr so recht auf die Beine gekommen war.
    Falls Prior nicht wusste, dass sie den Schocker in der Tasche hatte, so hieß das, dass er nicht alles wusste, obwohl er großen Wert darauf legte, sie das glauben zu machen. Aber er hatte ja auch nicht gewusst, wie sehr Eddy das Spielen hasste.
    Auch in Bezug auf Eddy empfand sie nicht viel, außer dass sie ihn nach wie vor für tot hielt. Ganz gleich, wie viel sie ihm gegeben hätten, er wäre nie ohne die Koffer losgezogen. Selbst wenn er sich komplett neu einkleiden wollte, hätte er sich zum Einkaufen rausputzen müssen. Klamotten waren für Eddy so ziemlich das Wichtigste. Und die Krokokoffer waren was Besonderes; er hatte sie von einem Hoteldieb in Orlando, und sie waren für ihn praktisch gleichbedeutend mit Zuhause. Und überhaupt konnte sie sich gar nicht vorstellen, wenn sie jetzt so darüber nachdachte, dass er sich auf eine Abfindung eingelassen hätte, denn er sehnte sich nach nichts so sehr wie danach, bei einem großen Deal mitzumischen. Denn dann, so bildete er sich ein, würden die Leute ihn ernst nehmen.
    Tja, nun hatte ihn endlich jemand ernst genommen, dachte sie, während Prior ihre Tasche in Geralds Praxis trug. Allerdings ganz anders, als Eddy sich das vorgestellt hatte.
    Sie sah sich um. Zwanzig Jahre alte Plastikmöbel, Stapel von Stim-Star-Magazinen mit japanischer Schrift. Es sah aus wie in einem Friseursalon in Cleveland. Kein Mensch war da; auch an der Anmeldung war niemand.
    Dann kam Gerald in einem zerknitterten Plastikanzug, wie ihn Rettungssanitäter bei Verkehrsunfällen trugen, durch eine weiße Tür herein.

    »Schließ ab«, sagte er zu Prior durch eine blaue Papiermaske, die Nase, Mund und Kinn verbarg. »Hallo, Mona. Hier entlang, bitte.« Er deutete auf die weiße Tür.
    Sie hatte den Schocker jetzt in der Hand, aber sie wusste nicht, wie man ihn einschaltete.
    Sie folgte Gerald; Prior bildete die Nachhut.
    »Nimm Platz«, sagte Gerald. Sie setzte sich auf einen weißlackierten Stuhl. Er kam

Weitere Kostenlose Bücher