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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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aus, sah der braunen Gestalt nach, wie sie Richtung Kolonie davonstapfte, gefolgt von dem geduldigen kleinen Dornier.
    Auf dem leeren Strand sah er aus wie ein Kind; er sah so einsam und verloren aus, genauso wie sie sich fühlte.

21
    Das Aleph
    Als die Sonne aufging, es war noch immer kein Strom für die 100-Watt-Birnen da, füllte sich Gentrys Loft mit einem neuen Licht. Die Wintersonne milderte die Konturen der Konsolen und des Holotischs und brachte die Strukturen der alten Bücher auf den durchgebogenen Spanplatten an der Westwand zum Vorschein. Gentry marschierte auf und ab und redete, wobei der blonde Hahnenschwanz jedes Mal wippte, wenn er auf einem schwarzen Stiefelabsatz kehrtmachte; seine Erregung schien die anhaltende Wirkung von Cherrys Schlafderms auszugleichen. Cherry saß auf der Bettkante und beobachtete Gentry, warf jedoch immer wieder mal einen Blick auf die Batteriekontrolllampe im Aufbau der Trage. Slick saß in einem kaputten Sessel, den er auf Solitude aufgetrieben, mit zusammengeknäuelten Altkleidern aufgepolstert und mit durchsichtiger Plastikfolie bezogen hatte.
    Zu Slicks Erleichterung hatte Gentry den ganzen Gestalt-Kram weggelassen und sich gleich in seine Theorie über das Aleph gestürzt. Wie immer, wenn Gentry in Schwung kam, verwendete er Wörter und Formulierungen, mit denen Slick kaum etwas anfangen konnte, aber Slick wusste aus Erfahrung, dass man besser fuhr, wenn man ihn nicht unterbrach; der Trick bestand darin, seinen Ausführungen insgesamt einen gewissen Sinn zu entnehmen und über unverständliche Punkte hinwegzusehen.
    Gentry sagte, der Count sei an eine Art gigantisches Mikrosoft angeschlossen; er hielt den Kasten für einen einzigen kompakten Biochip. Wenn das stimmte, war dessen Speicherkapazität praktisch unbegrenzt, und es musste unvorstellbar teuer gewesen sein, das Ding herzustellen.
    Gentry fand es ziemlich merkwürdig, dass jemand überhaupt so was gebaut hatte, obwohl es solche Dinger angeblich
schon gab und sie auch bestimmte Zwecke erfüllten, insbesondere als Speichermedium für riesige Mengen geheimer Daten. Ohne Verbindung zur globalen Matrix waren die Daten immun gegen jeglichen Angriff via Cyberspace. Der Haken dabei war natürlich, dass man auch über die Matrix keinen Zugang zu ihnen hatte; es war ein toter Speicher.
    »Er könnte alles Mögliche da drin haben«, sagte Gentry, der stehen blieb und das Gesicht des Bewusstlosen betrachtete. Er machte auf dem Absatz kehrt und marschierte wieder auf und ab. »Eine Welt. Ganze Welten. Beliebig viele Persönlichkeitskonstruktionen …«
    »Als würde er in einem Stim leben?«, fragte Cherry. »Ist er deshalb ständig in der REM-Phase?«
    »Nein«, erwiderte Gentry, »es ist kein Simstim, sondern voll interaktiv. Und’ne ganz andere Größenordnung. Wenn das ein Biosoft der Aleph-Klasse ist, könnte er buchstäblich alles da drin haben. Oder – in gewissem Sinn – eine annähernde Entsprechung von allem … «
    »Kid Afrika hat durchblicken lassen, dass der Typ dafür bezahlt, in dieser Lage zu bleiben«, sagte Cherry. »’ne Art Drahtkopf-Nummer, aber doch anders. Drahtköpfe haben jedenfalls nicht solche REM-Phasen.«
    »Aber als du versucht hast, es über dein Gerät rauszuholen«, warf Slick ein, »hast du dieses … dieses Ding gekriegt.« Er sah, wie sich Gentrys Schultern unter dem perlenbesetzten schwarzen Leder verspannten.
    »Ja«, sagte Gentry, »und jetzt muss ich unser Konto bei der Fission Authority wieder aufbauen.« Er deutete auf die Akkus, die unterm Stahltisch gestapelt waren. »Holt mir mal die Dinger da raus.«
    »Ja«, sagte Cherry, »wird auch langsam mal Zeit. Ich frier mir allmählich den Arsch ab.«

    Gentry saß über ein Cyberspace-Deck gebeugt, als sie zu Slicks Zimmer zurückgingen. Cherry hatte darauf bestanden, dass sie Gentrys Heizdecke an einen der Akkus anschlossen, damit sie sie über die Trage breiten konnte. Auf dem Butankocher stand noch kalter Kaffee.
    Slick trank ihn, ohne ihn erst groß aufzuwärmen, während Cherry aus dem Fenster auf die schneegesprenkelte Ebene von Solitude schaute.
    »Wie ist das hier entstanden?«, fragte sie.
    »Gentry sagt, es ist vor hundert Jahren aufgeschüttet worden. Obendrauf kam eine Schicht Muttererde, aber es wollte nichts wachsen. Die Aufschüttung darunter war großenteils giftig. Der Regen hat die Erde weggespült. Da haben sie wohl einfach aufgegeben und noch mehr Scheiß draufgekippt. Das Wasser hier kann man nicht trinken.

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