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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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Kompost, dem Wunderwerke aus Stahl und Polymeren entsprossen. Allein schon angesichts des offenkundigen Mangels an Planung wurde ihr schwindlig, weil er in derart krassem Gegensatz zur Wertschätzung effizienter Bodennutzung in ihrer eigenen Kultur stand.
    Bei der Taxifahrt vom Flughafen hatte sie bereits den Zerfall gesehen. Ganze Häuserblocks waren baufällig, leere Fensterhöhlen gähnten über Gehsteigen, auf denen sich Müll türmte. Und die gaffenden Gesichter, als das gepanzerte Hover durch die Straßen fuhr.
    Nun tauchte Sally mit ihr unvermittelt in die ganze Fremdartigkeit dieses Ortes, in dessen Fäulnis und Planlosigkeit Türme wurzelten, höher als jeder Wolkenkratzer in Tokio, Konzern-Obelisken, die das rußige Netzwerk der sich überlappenden Kuppeln durchbrachen.
    Zwei Taxifahrten vom Hotel entfernt stürzten sie sich dann zu Fuß ins frühabendliche Gewühl auf den dämmrigen Straßen. Die Luft war kalt, aber nicht so kalt wie in London, und Kumiko dachte an die Blüten im Ueno-Park.
    Den ersten Zwischenstop legten sie in einer großen Bar namens Gentleman Loser ein, die schon einiges von ihrem früheren Glanz verloren hatte. Dort wechselte Sally rasch ein paar leise Worte mit einem Barkeeper.
    Sie gingen, ohne etwas zu trinken.
     
    »Geister«, sagte Sally, als sie um eine Ecke bogen. Kumiko ging dicht neben ihr her. Die Straßen waren während der letzten
paar Blocks zusehends leerer geworden, die Häuser dunkler und schäbiger.
    »Wie bitte?«
    »Hab’nen Haufen Geister der Vergangenheit hier. Würd ich zumindest erwarten.«
    »Du kennst diese Gegend?«
    »Klar. Sieht alles noch genauso aus, aber trotzdem anders, verstehst du?«
    »Nein …«
    »Das kommt schon noch. Wenn wir den Mann finden, den ich suche, spielst du einfach das brave Mädchen. Red nur, wenn du angesprochen wirst, sonst nicht.«
    »Wen suchen wir?«
    »Den Mann. Oder jedenfalls das, was noch von ihm übrig ist …«
    Einen halben Block weiter war die triste Straße menschenleer. Kumiko hatte noch nie eine leere Straße gesehen, mit Ausnahme von Swains verschneitem Straßenbogen um Mitternacht. Sally machte vor einer uralten, alles andere als vielversprechenden Ladenfront halt. In den beiden Schaufenstern prangte eine dicke, silbergraue Staubschicht. Kumiko spähte hinein und entdeckte die Neonlettern einer ausgeschalteten Leuchtreklame: METRO, dann ein längeres Wort. Die Tür zwischen den Fenstern war mit Wellblech verstärkt. In regelmäßigen Abständen ragten rostige Ringbolzen daraus hervor, auf die lose Stücke galvanisierten Stacheldrahts mit rasiermesserscharfen Spitzen gespannt waren.
    Sally nahm vor der Tür Aufstellung, straffte die Schultern und vollführte einen flüssige Abfolge kleiner, flinker Gesten.
    Kumiko sah mit großen Augen zu, wie sie die Sequenz wiederholte. »Sally …«
    »Gebärdensprache«, schnitt Sally ihr das Wort ab. »Ich hab gesagt, du sollst den Mund halten, okay?«

    »Ja?« Die Stimme, kaum mehr als ein Flüstern, war nicht zu lokalisieren.
    »Ich hab’s dir schon gesagt«, erklärte Sally.
    »Ich kann keine Gebärdensprache.«
    »Ich will mit ihm reden.« Sallys Ton war hart und bedachtsam.
    »Er ist tot.«
    »Das weiß ich.«
    Darauf folgte ein Schweigen, und Kumiko hörte ein Geräusch, das vom Wind stammen mochte, einem kalten, sandigen Wind, der um die Kurven der geodätischen Kuppeln hoch oben pfiff.
    »Er ist nicht da.« Die Stimme schien sich nun zu entfernen. »Um die Ecke, den halben Block runter, links in die Gasse.«
     
    Kumiko würde die Gasse nie vergessen: dunkler, schlüpfrig-feuchter Backstein, Ventilatoren, an deren Abdeckungen schwarze Fahnen aus Staub und Schmutz flatterten, eine gelbe Glühbirne in einem rostigen Metallkorb, das Dickicht aus leeren Flaschen auf beiden Mauerseiten, die mannshohen Nester aus zerknülltem Faxpapier und weißen Schaumstoffverpackungen und das Klappern von Sallys Hacken.
    Jenseits des trüben Lichts der Glühbirne war es finster, obwohl der Widerschein auf nassem Backstein eine Schlussmauer sichtbar werden ließ: eine Sackgasse. Kumiko zögerte, erschreckt von einem plötzlichen Echo, einem Rascheln, dem steten Tröpfeln von Wasser …
    Sally hob die Hand. Ein dünner, sehr heller Lichtkegel riss einen scharf umgrenzten Kreis bekritzelten Backsteins aus dem Dunkel und glitt dann zügig nach unten.
    Glitt abwärts, bis er auf das Ding am Fuß der Mauer stieß, mattes Metall, ein senkrecht stehendes, gerundetes Gebilde,
das Kumiko

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