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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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gehen lassen würde. Dein Zimmer ist präpariert. Das ganze Haus. Ich hab die Bewegungsmelder ausgelöst, als ich deine Sachen zusammengesucht habe. Damit hab ich gerechnet. Petal wusste, dass ich es war. Deshalb hat er angerufen, um mir zu sagen, dass er Bescheid weiß.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »War’ne Art Gefallen, damit ich wusste, dass er unten wartet. Um mir’ne Chance zu geben, es mir nochmal zu überlegen. Aber er hatte keine andere Wahl, und das wusste er auch. Siehst du, Swain wird gerade zu etwas gezwungen, und Petal weiß das. Zumindest behauptet Swain, dass er gezwungen wird. Ich werd jedenfalls eindeutig gezwungen. Also überleg ich mir allmählich, wie dringend Swain auf mich angewiese n ist. Sehr dringend. Denn sie lassen mich mit der Tochter des Oyabun abziehen, die zur sicheren Verwahrung eigens bis nach Notting Hill verfrachtet worden ist. Irgendwas macht
ihm mehr Angst als dein Daddy. Oder es macht ihn noch reicher, als dein Daddy ihn schon gemacht hat. Jedenfalls sind wir jetzt sozusagen quitt, weil ich dich mitgenommen habe. Ich hab quasi zurückgeschlagen. Macht’s dir was aus?«
    »Du wirst bedroht?«
    »Jemand weiß’ne Menge über das, was ich getan habe.«
    »Und Tick hat herausgefunden, wer das ist?«
    »Ja. Ich glaube, ich hab’s eh schon gewusst. Zum Henker, ich wünschte, ich hätt mich getäuscht.«
     
    Das Hotel, das Sally aussuchte, hatte eine Fassade aus rostfleckigen Stahlquadraten, die jeweils mit glänzenden Chrombolzen befestigt waren – ein Stil, den Kumiko aus Tokio kannte und für etwas altmodisch hielt.
    Ihr Zimmer war groß und grau – es wies ein Dutzend Grautöne auf -, und nachdem Sally die Tür abgeschlossen hatte, ging sie schnurstracks zum Bett, zog sich die Jacke aus und legte sich hin.
    »Du hast ja gar kein Gepäck«, sagte Kumiko.
    Sally setzte sich auf und entledigte sich ihrer Stiefel. »Ich kann mir kaufen, was ich brauche. Müde?«
    »Nein.«
    »Ich schon.« Sie zog den schwarzen Pulli über den Kopf. Ihre Brüste waren klein, mit rötlich-braunen Warzen. Eine Narbe fing direkt unter der linken Brustwarze an und verschwand im Hosenbund der Jeans.
    »Du bist verletzt worden«, sagte Kumiko mit Blick auf die Narbe.
    Sally schaute nach unten. »Ja.«
    »Warum hast du’s nicht wegmachen lassen?«
    »Manchmal ist es gut, sich zu erinnern.«
    »Dass man verletzt war?«
    »Dass man blöd war.«

    Grau in Grau. Kumiko konnte nicht schlafen. Sie ging auf dem grauen Teppich hin und her. Das Zimmer hatte etwas Vampirhaftes, fand sie, wie Millionen ähnlicher Zimmer, als würde seine verblüffend bruchlose Anonymität ihre Persönlichkeit aufsaugen, die bruchstückhaft die Gestalt der im Streit erhobenen Stimmen ihrer Eltern, der Gesichter von Vaters schwarzgewandeten Sekretären annahm … Sally schlief. Ihr Gesicht war eine glatte Maske. Der Blick aus dem Fenster sagte Kumiko überhaupt nichts – nur dass sie auf eine Stadt hinausschaute, die weder London noch Tokio war, ein riesiges, allumfassendes Durcheinander, Inbegriff der urbanen Realität ihres Jahrhunderts.
    Vielleicht schlief auch sie, Kumiko, obwohl sie sich dessen später nicht sicher war. Sie beobachtete, wie Sally Toilettenartikel und Unterwäsche bestellte, indem sie ihre Wünsche in den Bildschirm neben dem Bett tippte. Ihre Bestellung wurde geliefert, während Kumiko unter der Dusche stand.
    »Okay«, sagte Sally hinter der Tür, »trockne dich ab und zieh dich an. Wir gehen den Mann besuchen.«
    »Welchen Mann?«, fragte Kumiko, aber Sally hatte sie nicht gehört.
     
    Gomi.
    Fünfunddreißig Prozent der Landmasse von Tokio waren auf Gomi gebaut, auf ebenem Gelände, das man der Bucht durch hundertjähriges systematisches Abladen von Müll und Schutt abgerungen hatte. Gomi war dort ein Rohstoff, der verwaltet, gesammelt, sortiert und gründlich untergepflügt wurde.
    Londons Verhältnis zu Gomi war subtiler und indirekter. In Kurnikos Augen bestand die Stadt großenteils aus Gomi , aus Bauten, die die japanische Wirtschaft in ihrem unstillbaren Hunger nach Bauland längst verschlungen hätte. Dennoch enthüllten diese Bauten selbst für Kumiko das Gewebe der
Zeit; jede Mauer war im Zuge des permanenten Restaurierungsprozesses von Generationen von Händen ausgebessert worden. Die Engländer schätzten ihren Gomi als solchen und drückten dies auf eine Weise aus, die Kumiko erst in Ansätzen verstand: Sie bewohnten ihn.
    Im Sprawl war Gomi etwas ganz anderes: ein fruchtbarer Humus, ein

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