Neuromancer-Trilogie
abging.
»Warte da drüben!«, fuhr sie Petal an. »Hör mir zu«, sagte sie, während sie Kumiko um die Ecke ins Halbdunkel zerrte. »Du fliegst zurück. Ich kann dich jetzt nicht hierbehalten.«
»Aber mir gefällt es da nicht. Ich mag weder Swain noch das Haus … Ich …«
»Petal ist okay.« Sally beugte sich zu ihr herunter und sprach sehr schnell. »Im Falle eines Falles würd ich ihm vertrauen. Swain, tja, du weißt, was Swain ist, aber er steht auf der Gehaltsliste deines Vaters. Was auch passiert, die beiden werden schon dafür sorgen, dass du nicht in Gefahr gerätst. Aber wenn’s echt brenzlig wird, dann geh in das Pub, wo wir Tick getroffen haben. The Rose and Crown, weißt du noch?«
Kumiko nickte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Falls Tick nicht da ist, such einen Barkeeper namens Bevan und sag ihm meinen Namen.«
»Sally, ich …«
»Das wird schon«, sagte Sally und küsste sie abrupt, wobei eine ihrer Linsen kurz über ihre Wange streifte. Sie war erschreckend kalt und starr. »Und ich, Baby, ich bin praktisch schon weg.«
Und damit war sie im gedämpften Gesumm der Lounge verschwunden. Im Eingang stand Petal und räusperte sich.
Der Flug nach London war wie eine endlose U-Bahn-Fahrt. Petal vertrieb sich die Zeit damit, Worte in irgendein blödsinniges Kreuzworträtsel in einem englischen Fax zu malen, immer einen Buchstaben nach dem anderen, wobei er leise vor sich hinbrummte. Schließlich schlief sie ein und träumte von ihrer Mutter.
»Die Heizung geht«, sagte Petal, als er sie von Heathrow zu Swain chauffierte. Es war unangenehm warm im Jaguar, und die trockene Luft roch nach Leder und tat ihr in den Stirnhöhlen weh. Ohne ihn zu beachten, schaute sie ins dämmrige Morgenlicht hinaus, betrachtete die schwarzglänzenden
Dächer, die unter dem schmelzenden Schnee zum Vorschein kamen, den Schornsteinwald …
»Er ist dir nicht böse, musst du wissen«, sagte Petal. »Er hat das Gefühl, dass er eine besondere Verantwortung hat …«
»Giri.«
»Äh … ja. Also, Verantwortung eben. Sally war noch nie besonders berechenbar, aber wir hätten nicht erwartet …«
»Ich möchte mich jetzt nicht unterhalten, vielen Dank.«
Seine kleinen, besorgten Augen im Spiegel.
Auf der Straße vor Swains Haus reihten sich parkende Wagen aneinander, lange, silbergraue Wagen mit getönten Scheiben.
»Viel Besuch diese Woche«, sagte Petal, der gegenüber der Hausnummer 17 einparkte. Er stieg aus und hielt ihr die Tür auf. Sie folgte ihm benommen über die Straße und die grauen Stufen hinauf, wo die schwarze Tür von einem untersetzten, rotgesichtigen Mann in einem engen dunklen Anzug geöffnet wurde, an dem Petal vorbeiging, als ob er gar nicht da wäre.
»Moment«, sagte Rotgesicht. »Sie soll gleich zu Swain …«
Die Worte des Mannes ließen Petal innehalten; er gab einen Brummlaut von sich, wirbelte mit beunruhigender Geschwindigkeit herum und packte den Mann am Revers.
»In Zukunft zeigst du’n bisschen Respekt, verdammt nochmal«, sagte Petal, und obwohl er die Stimme nicht erhoben hatte, war ihre sanfte Müdigkeit wie weggewischt. Kumiko hörte Nähte platzen.
»Sorry, Boss.« Das rote Gesicht war sorgsam ausdruckslos. »Er hat mir gesagt, ich soll’s Ihnen ausrichten.«
»Na, dann komm«, sagte Petal zu Kumiko und ließ das dunkle Kammgarn-Revers los. »Er will dir bestimmt nur guten Tag sagen.«
Sie trafen Swain an einem drei Meter langen, eichenen Refektoriumstisch in dem Zimmer an, wo sie ihn kennengelernt
hatte. Die Rangzeichen-Drachen waren hinter feinem weißem Wollstoff und einer gestreiften Seidenkrawatte weggeknöpft. Ihre Blicke begegneten sich, als sie eintrat. Sein längliches Gesicht lag im Halbdunkel außerhalb des Lichtkegels einer Leselampe aus Messing mit grünem Schirm, die neben einer kleinen Konsole und einem dicken Bündel Fax auf dem Tisch stand. »Gut«, sagte er. »Und wie war’s im Sprawl?«
»Ich bin sehr müde, Mr. Swain. Ich möchte gern auf mein Zimmer gehen.«
»Wir sind froh, dass wir dich wiederhaben, Kumiko. Das Sprawl ist ein gefährliches Pflaster. Sallys Freunde dort gehören wohl kaum zu der Sorte Leute, mit denen du Umgang pflegen solltest, wenn es nach deinem Vater ginge.«
»Darf ich jetzt auf mein Zimmer gehen?«
»Hast du irgendwelche Freunde von Sally kennengelernt, Kumiko?«
»Nein.«
»Wirklich nicht? Was habt ihr denn gemacht?«
»Nichts.«
»Du darfst uns nicht böse sein, Kumiko. Wir beschützen
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