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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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zu unterdrücken, wie er wusste. Aber Wage hatte durchaus Laster und Liebschaften gehabt. Sogar mit Kindern, ging das Gerücht. Die Leere, die Armitage an den Tag legte, war jedoch etwas ganz anderes.

    »Wohin geht’s diesmal?«, fragte er, ging an Armitage vorbei und schaute auf die Straße hinunter. »Was für’n Klima?«
    »Da gibt’s kein Klima, bloß Wetter«, sagte Armitage. »Hier. Lies dir das durch!« Er legte etwas auf den Couchtisch und stand auf.
    »Mit Riviera alles klar? Wo ist der Finne?«
    »Riviera geht’s gut. Der Finne ist auf dem Heimflug.« Armitage lächelte; ein Lächeln, das so viel besagte wie das Fühlerzucken eines Insekts. Sein goldenes Armband rasselte, als er den Arm ausstreckte und Case auf die Brust tippte. »Werd nur nicht übermütig. Die Säckchen zeigen allmählich schon Abnutzungserscheinungen, aber wie sehr, das weißt du nicht.«
    Case ließ sich nichts anmerken. Er zwang sich zu einem Nicken.
    Nachdem Armitage gegangen war, nahm er eine der Broschüren zur Hand. Es war ein teuer aufgemachter Prospekt in Französisch, Englisch und Türkisch.
    FREESIDE – WARUM WARTEN?
     
     
     
    Für das Quartett war ein THY-Flug vom Flughafen Yesilköy gebucht. In Paris Transfer zum JAL-Shuttle. Case saß im Foyer des Istanbul Hilton und beobachtete Riviera, der sich hinter den Glasfenstern des Souvenirshops nachgemachte byzantinische Fragmente ansah. Armitage stand, den Trenchcoat wie ein Cape über die Schultern drapiert, am Eingang des Shops.
    Riviera war schlank und blond, hatte eine sanfte Stimme und sprach fließend akzentfreies Englisch. Molly sagte, er sei dreißig, aber es wäre schwer gewesen, sein Alter zu schätzen. Sie sagte auch, er sei staatenlos und reise mit einem gefälschten niederländischen Pass. Er war ein Produkt der Schuttwälle, die den radioaktiven Kern des alten Bonn umschlossen.

    Drei lächelnde japanische Touristen trippelten in den Shop und nickten Armitage höflich zu. Armitage durchquerte den Shop zu schnell und zu offensichtlich und baute sich neben Riviera auf. Riviera wandte sich ihm lächelnd zu. Er war sehr schön; Case nahm an, dass seine Züge das Werk eines Chirurgen in Chiba waren. Kunstvolle Arbeit, nicht zu vergleichen mit Armitages fadem Mischmasch hübscher Pop-Gesichter. Der Mann hatte eine hohe, glatte Stirn, seine grauen Augen waren ruhig und kühl. Seine Nase, ursprünglich vielleicht etwas zu ebenmäßig geformt, schien gebrochen gewesen und ungeschickt wieder zurechtmodelliert worden zu sein. Ein Hauch von Brutalität kompensierte das zierliche Kinn und das schnelle Lächeln. Seine Zähne waren klein, gleichmäßig und sehr weiß. Case sah zu, wie seine blassen Hände über die imitierten Skulpturfragmente glitten.
    Riviera verhielt sich nicht wie jemand, der in der Nacht zuvor angegriffen, mit einem Giftpfeil betäubt, verschleppt, den Tests des Finnen unterzogen und von Armitage gezwungen worden war, seinem Team beizutreten.
    Case schaute auf die Uhr. Molly müsste bald von ihrem Drogeneinkauf zurück sein. Er blickte wieder zu Riviera hinüber. »Ich wette, du bist jetzt schon vollgedröhnt, du Arschloch«, sagte er zum Hilton-Foyer. Eine angegraute italienische Matrone in einer weißen Smokingjacke aus Leder senkte ihre Porschebrille und starrte ihn an. Er grinste breit, stand auf und hängte sich die Tasche über die Schulter. Er brauchte Zigaretten für den Flug. Ob es im JAL-Shuttle wohl einen Raucherbereich gab? »Bis später, Lady«, sagte er zu der Frau, die prompt die Sonnenbrille wieder auf die Nase schob und sich abwandte.
    Im Souvenirshop gab es Zigaretten, aber er hatte keine Lust, mit Armitage oder Riviera ins Gespräch zu kommen. Er verließ
das Foyer und entdeckte einen Automaten in einer schmalen Nische am Ende einer Reihe von Münztelefonen.
    Er wühlte in der Handvoll Lirasi in seiner Hosentasche und steckte die kleinen, matten Metallmünzen nacheinander in den Einwurfschlitz. Der Anachronismus dieses Vorgangs belustigte ihn irgendwie. Das nächstgelegene Telefon läutete.
    Automatisch hob er ab.
    »Ja?«
    Leise Obertöne, nahezu unhörbare Stimmen, die in einer Orbitalverbindung knisterten, dann ein Rauschen wie von einem Windstoß.
    »Hallo, Case.«
    Eine 50-Lirasi-Münze fiel ihm aus der Hand und rollte über den Teppichboden des Hilton davon.
    »Wintermute, Case. Wir müssen uns unterhalten.«
    Es war eine Chipstimme.
    »Willst du nicht mit mir reden, Case?«
    Er hängte ein.
    Auf dem Rückweg ins Foyer – er

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