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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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nahm ein Bonbon, wickelte es aus dem karierten Papier und steckte es in den Mund. »Setz dich!«, sagte er, das Bonbon lutschend.
    Case ließ sich auf dem Drehstuhl vor dem Schreibtisch nieder, ohne den Blick von Deane zu wenden. Die Hand mit der Knarre ruhte auf seinem Oberschenkel.
    »Also«, sagte Deane munter, »zur Sache. Du fragst dich: Was ist Wintermute? Hab ich Recht?«
    »Mehr oder weniger.« »Eine künstliche Intelligenz, aber das weißt du ja schon. Dein Fehler, an sich ein ganz logischer, ist, dass du den Wintermute-Mainframe in Bern mit der Entität Wintermute verwechselst.« Deane lutschte geräuschvoll das Bonbon. »Über die andere KI im Tessier-Ashpool-Verbund weißt du bereits Bescheid, nicht? Rio. Ich, sofern ich ein Ich habe – wird ziemlich
metaphysisch, wie du siehst -, ich bin derjenige, der hinter Armitage steht. Oder hinter Corto, der – nebenbei gesagt – ziemlich instabil ist. Na ja, noch stabil genug.« Deane zog eine schmuckvolle Golduhr aus der Westentasche und klappte den Deckel auf. »Für die nächsten ein, zwei Tage.«
    »Was du da redest, ist genauso wirr wie die ganze Sache bisher.« Case massierte sich mit der freien Hand die Schläfen. »Wenn du so verdammt schlau bist …«
    »Weshalb bin ich dann nicht reich?«, lachte Deane und wäre fast an seinem Bonbon erstickt. »Tja, Case, dazu kann ich nur sagen – und ich habe bei weitem nicht so viele Antworten parat, wie du dir einbildest -, was du dir unter Wintermute vorstellst, ist nur ein Teil einer anderen, gewissermaßen potenziellen Entität. Ich bin, sagen wir, nur ein Aspekt des Gehirns dieser Entität. Von deinem Standpunkt aus ist es etwa so, als hättest du’s mit einem Menschen zu tun, dessen Hirnlappen voneinander getrennt worden sind. Nehmen wir an, du hast es mit einem kleinen Teil seiner linken Hirnhälfte zu tun. Schwer zu sagen, ob du’s in so einem Fall überhaupt mit dem Menschen an sich zu tun hast.«
    »Stimmt die Corto-Story? Du bist über’nen Mikro in dieser französischen Klinik an ihn rangekommen?«
    »Ja. Und ich habe das Archiv zusammengestellt, das du in London gesichtet hast. Ich versuche zu planen – in dem Sinn, wie du das Wort benutzt -, aber das ist eigentlich gar nicht meine Arbeitsweise. Ich improvisiere. Das ist meine größte Stärke. Mir sind Situationen lieber als Pläne, verstehst du. Im Grunde musste ich mit feststehenden Tatsachen operieren. Ich kann ungeheure Datenmengen bearbeiten, und zwar sehr schnell. Es hat sehr lange gedauert, das Team, zu dem du gehörst, auf die Beine zu stellen. Corto war der Erste, und er hätte es beinahe nicht geschafft. War ganz schön fertig in Toulon. Essen, Scheißen und Masturbieren, zu mehr war er kaum
fähig. Aber die zugrundeliegende Struktur von Obsessionen war vorhanden: Screaming Fist, sein Verrat, die Kongressausschüsse.«
    »Ist er immer noch verrückt?«
    »Er ist keine einheitliche Persönlichkeit.« Deane lächelte. »Das hast du ja bestimmt schon bemerkt. Aber Corto steckt irgendwie in ihm drin, und ich kann das heikle Gleichgewicht nicht mehr aufrechterhalten. Er wird bald zerbrechen, Case. Ich zähle also auf dich …«
    »Das ist aber schön, du Arschloch«, sagte Case und schoss Deane mit der.357er in den Mund.
    Es stimmte, das mit dem Hirn. Und dem Blut.
     
    »Mann«, nölte Maelcum, »das gefällt mir nich.«
    »Immer cool bleiben«, sagte Molly. »Ist alles okay. So ist das eben manchmal bei den Jungs. Er war ja nicht tot, und es hat nur’n paar Sekunden gedauert.«
    »Hab doch den Schirm gesehn. Kein EEG. Nichts. Vierzig Sekunden lang.«
    »Na, jetzt ist er ja wieder okay.«
    »EEG flach wie’n Brett«, protestierte Maelcum.

10
    Case war benommen, als sie den Zoll passierten, und überließ größtenteils Molly das Reden. Maelcum war an Bord der Garvey geblieben. Die Zollformalitäten für Freeside beschränkten sich weitgehend auf den Nachweis der Zahlungsfähigkeit. Das Erste, was Case sah, als sie in die Spindel kamen, war ein Café der Franchisekette »Beautiful Girl«.
    »Willkommen in der Rue Jules Verne«, sagte Molly. »Wenn du Probleme mit dem Gehen hast, guck einfach auf deine
Füße. Die Perspektive ist tückisch, wenn man nicht dran gewöhnt ist.« Sie standen in einer breiten Straße, die wie die Sohle einer tiefen Schlucht wirkte; die beiden Enden verloren sich hinter listigen Ecken und Winkeln in den Shops und Gebäuden, die beidseitig aufragten. Das Licht schimmerte durch Unmengen frischer, grüner

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