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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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Pflanzen, die von freitragenden Terrassen und Balkonen über ihnen herabhingen. Die Sonne …
    Irgendwo da droben gleißte ein allzu greller weißer Strich im aufgezeichneten Blau eines Himmels wie über Cannes. Er wusste, dass das Sonnenlicht mit einem Lado-Acheson-System eingespeist wurde, dessen 2-Millimeter-Band sich der Länge nach durch die Spindel zog, dass ein rotierendes Spektrum von Himmelseffekten generiert wurde, und dass er, falls der Himmel abgeschaltet wurde, am Lichtband vorbei auf die geschwungenen Formen von Seen, die Dächer von Kasinos und andere Straßen blicken würde … Doch sein Körper kam damit überhaupt nicht zurecht.
    »Herrgott«, sagte er, »ist ja schlimmer als SAS.«
    »Gewöhnst dich dran. Ich war hier mal’nen Monat Leibwächter eines Spielers.«
    »Ich würd mich gern verdrücken und aufs Ohr hauen.«
    »Okay. Ich hab unsre Schlüssel.« Sie legte ihm die Hand an die Schulter. »Was war denn vorhin mit dir, Mann? Du warst hirntot.«
    Er schüttelte den Kopf. »Weiß noch nicht so genau. Abwarten.«
    »Okay. Nehmen wir uns’n Taxi.« Sie führte ihn an der Hand über die Rue Jules Verne, vorbei an einem Schaufenster mit der neuesten Pariser Pelzmode.
    »Unecht«, sagte er und schaute wieder nach oben.
    »Nee«, erwiderte sie in der Annahme, er meine die Pelze, »werden auf Kollagenbasis erzeugt, aber mit Nerz-DNS. Was soll’s?«

    »Ist nur’ne Riesenröhre, durch die sie alles Mögliche schleusen«, sagte Molly. »Touristen, Gauner, was immer. Und ein feinmaschiges Netz sorgt die ganze Zeit dafür, dass die Kohle hierbleibt, wenn die Leute wieder durch den Schacht abziehn.«
    Armitage hatte für sie ein Zimmer in einem Hotel namens Intercontinental reserviert, dessen schräge, verglaste Front sich wie eine Steilwand aus einem kaltem Dunstschleier und dem Geplätscher von Stromschnellen erhob. Case trat auf den Balkon hinaus und sah drei braungebrannten französischen Teenagern beim Drachenfliegen zu; dreieckige Nylonsegel in leuchtenden Primärfarben kreisten wenige Meter über der Gischt. Einer davon schwang herum, legte sich in die Kurve, und Case sah einen Augenblick lang kurzgeschorenes, dunkles Haar, braune Brüste und weiße Zähne in einem breiten Lächeln. Die Luft duftete nach fließendem Wasser und Blumen. »Ja«, sagte er, »’n Haufen Kohle.«
    Sie lehnte neben ihm am Geländer und ließ entspannt die Hände baumeln.
    »Ja. Früher wollten wir mal herkommen. Entweder hierher oder irgendwo nach Europa.«
    »Wer wir?«
    »Niemand«, sagte sie mit einem unwillkürlichen Achselzucken. »Du hast gesagt, du willst dich in die Falle hauen. Schlafen. Ich könnte auch’n bisschen Schlaf vertragen.«
    »Ja«, sagte Case und rieb sich die Wangen. »Ja, hier lässt sich’s aushalten.«
    Das schmale Band des Lado-Acheson-Systems glomm in der abstrakten Imitation eines Sonnenuntergangs auf den Bermudas, durchsetzt von aufgezeichneten Wolkenfetzen. »Ja«, sagte er, »schlafen.«
    Der Schlaf ließ auf sich warten. Als er sich schließlich einstellte, brachte er Träume mit sich, die wie sauber editierte Erinnerungsfetzen
anmuteten. Case wachte mehrmals neben Molly auf, die sich zusammengekuschelt hatte, und hörte das Wasser; Stimmen wehten durch die offene Glastür des Balkons herein, Frauengelächter von der terrassenförmig angelegten Wohnanlage am gegenüberliegenden Hang. Wie eine schlechte Karte tauchte immer wieder Deanes Tod auf, obwohl er sich sagte, dass es Deane gar nicht gewesen war. Dass es eigentlich gar nicht passiert war. Jemand hatte ihm einmal erzählt, dass die durchschnittliche Blutmenge im Körper ungefähr einem Kasten Bier entspreche.
    Jedes Mal, wenn in dem Bild Deanes zerschmetterter Schädel an die hintere Wand des Büros knallte, überfiel Case ein anderer Gedanke, etwas Dunkleres und Verborgenes, das sich wegrollte, untertauchte wie ein Fisch und sich im letzten Moment seinem Zugriff entzog.
    Linda.
    Deane. Blut an der Wand des Importeurs.
    Linda. Gestank von versengtem Fleisch im Halbdunkel der Kuppel in Chiba. Molly mit einer blutverschmierten Plastiktüte voller Ingwer. Deane hatte sie umbringen lassen.
    Wintermute. Case stellte sich vor, wie ein kleiner Mikrocomputer auf das Wrack eines Mannes namens Corto einflüsterte, Worte, die dahinströmten wie ein murmelnder Bach, und wie schließlich die flache Ersatzpersönlichkeit namens Armitage in einem abgedunkelten Krankenzimmer Gestalt annahm … Das Deane-Analogon hatte gesagt, es operiere mit

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