Neuromancer-Trilogie
»Davon hat mir keiner was gesagt«, murrte sie.
Case steckte aus.
»Maelcum …«
»Dein Boss is vielleicht komisch drauf, Mann.« Der Zionit trug einen blauen Sanyo-Raumanzug, der zwanzig Jahre älter war als das Modell, das Case in Freeside gemietet hatte. Er hielt seinen Helm unter dem Arm und hatte seine Dreadlocks in eine gehäkelte Mütze aus purpurrotem Baumwollgarn verpackt. Seine Augen waren ganz klein vom Ganja und der Anspannung. »Gibt ständig Befehle durch, Mann, aber die ham irgendwas mit’nem Krieg in Babylon zu tun …« Maelcum schüttelte den Kopf. »Hab mit Aerol gesprochen un’ der mit Zion. Die Gründer sagen, nix wie weg.« Er fuhr sich mit dem breiten, braunen Handrücken über den Mund.
»Armitage?« Case zuckte zusammen, als ihn der Betaphenäthylaminkater mit voller Wucht traf, nachdem die schützende Wirkung von Matrix und Simstim weggefallen war. Im Hirn sind keine Nerven, sagte er sich, so mies kann’s dem doch gar nicht gehen. »Wie meinst du das? Er gibt dir Befehle? Was für welche?«
»Erzählt mir ständig, ich soll Kurs auf Finnland nehm’. Sagt, da gib’s Hoffnung, verstehs’u? Aufm Monitor is sein Hemd voller Blut, und er’s völlig durch’n Wind, faselt was von kreischenden Fäusten und Russland und vom Blut der Verräter, das über uns kommen soll.« Maelcum schüttelte nochmals den Kopf, wobei die Mütze in der Schwerelosigkeit hin und her wippte. Sein Mund wurde schmal. »Die Gründer sagen,
dieser Mute, die stumme Stimme, das is bestimmt’n falscher Prophet, und Aerol und ich soll’n die Marcus Garvey verlassen und heimkomm’.«
»Blut? Armitage ist verwundet?«
»Kann ich nich sagen, Mann. Aber Blut, ja, und er’s total verrückt, Case.«
»Okay«, sagte Case. »Und was ist mit mir? Du fliegst also heim. Was ist mit mir, Maelcum?«
»Ey Mann«, sagte Maelcum, »du komms’ mit. Wir fliegen mit Aerol und der Babylon Rocker nach Zion. Lass Mr. Armitage doch mit der Gespens’erkassette reden – von Gespens’ zu Gespens’ …«
Case warf einen kurzen Blick über die Schulter zurück. Sein gemieteter Anzug schaukelte im Luftzug des alten russischen Skrubbers und schlug gegen das Netz, an dem er ihn befestigt hatte. Er schloss die Augen. Er sah die Toxinsäckchen, die sich in seinen Arterien zersetzten. Er sah Molly, die sich die endlosen Stahlsprossen hochhievte. Er öffnete die Augen.
»Weiß nicht, Mann«, sagte er mit einem komischen Geschmack im Mund. Er blickte hinunter auf sein Deck, seine Hände. »Weiß nicht.« Er blickte wieder auf. Das braune Gesicht war jetzt ruhig und aufmerksam. Maelcums Kinn war hinter dem hohen Helmring seines alten, blauen Anzugs verborgen. »Sie ist drin«, sagte er. »Molly ist drin. In der Straylight, so heißt das Ding. Wenn es ein Babylon gibt, Mann, dann isses das. Wenn wir sie im Stich lassen, kommt sie da nicht mehr raus, Wandelndes Messer oder nicht.«
Maelcum nickte. Die gehäkelte Baumwollmütze tanzte auf und ab wie ein Fesselballon. »Deine Frau, Case?«
»Weiß nicht. Vielleicht von keinem.« Er zuckte mit den Achseln. Und fand seinen Zorn wieder, hart und fest wie ein heißer Steinsplitter unter den Rippen. »Ihr könnt mich alle mal«,
sagte er. »Armitage kann mich, Wintermute kann mich, und du kannst mich auch! Ich bleib hier.«
Ein Lächeln erhellte Maelcums Gesicht wie eine aufgehende Sonne. »Maelcum’s’n harter Knochen, Case. Un’ Garvey ’s Maelcums Schiff.« Er drückte mit der behandschuhten Hand auf eine Taste, und der bassige Rocksteady-Sound von Zion-Dub dröhnte aus den Lautsprechern des Schleppers. »Maelcum läuft nich davon, nein. Ich red mit Aerol. Der sieht’as bestimmt genauso.«
Case sah ihn erstaunt an. »Ich versteh euch Burschen einfach nicht.«
»Versteh dich auch nich, Mann«, sagte der Zionit. Sein Kopf wippte im Takt auf und ab. »Aber wir müssen uns von Jahs Liebe leiten lassen, jeder von uns.«
Case steckte ein und schaltete sich in die Matrix.
»Hast du meine Nachricht gekriegt?«
»Ja.« Er sah, dass das chinesische Programm gewachsen war; feine Bögen aus fließenden, polychromen Farben strebten auf das T-A-Eis zu.
»Hier wird’s immer heikler«, sagte die Flatline. »Dein Boss hat den Speicher im andern Hosaka gelöscht und unsern beinah gleich mit. Aber dein Kumpel Wintermute hat mich über was aufgeklärt, bevor’s drüben schwarz wurde. Dass es in der Straylight nicht gerade von Tessier-Ashpools wimmelt, kommt daher, dass die meisten im
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