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Neuromancer

Neuromancer

Titel: Neuromancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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erstarrt.
    Case sah die rohen Holzgriffe, die an den Enden der Garotte baumelten
    wie Stücke eines abgegriffenen Besenstiels.
    »Wie lange hat der das wohl schon dran?« sagte Case, der an Cortos Pilgerfahrt nach dem Krieg denken mußte.
    »Er kann so'n Schiff steuern, dein Boß, Case?«
    »Vielleicht. War bei den Special Forces.«
    »Tja, dieser Japaner-Boy, der wird nicht mehr steuern. Bin mir nicht sicher, ob ich selber das Ding ohne weiteres fliegen könnte. Ganz neues Schiff.«
    »Also bring uns zur Brücke!«
    Maelcum machte stirnrunzelnd eine Rolle rückwärts und stieß sich ab.
    Case wühlte sich durch die Papierfahnen, die ihm den Weg versperrten,
    und folgte ihm in einen größeren Raum, einen Salon. Hier waren wieder fixierte Stühle, eine Art Bar und der Hosaka. Der Printer, der noch immer Papierfahnen ausspuckte, war ein Einbaugerät, ein glatter Schlitz in der
    handgebürsteten Furnierabdeckung. Case zog sich über die kreisförmig
    aufgestellten Stühle und griff danach, wobei er einen weißen Kopf neben
    der Schlitzöffnung drückte. Das Geratter hörte auf. Er wandte sich um und blickte auf den Hosaka. Es waren mindestens ein Dutzend Löcher in der Frontseite, kleine, runde Löcher mit geschwärzten Rändern. Helle Metall—späne kreisten wie Himmelskörper um den toten Computer. »Richtig geraten«, sagte er zu Maelcum.
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    »Brücke geschlossen, du«, sagte Maelcum von der andern Seite des Salons.
    Die Beleuchtung ging zurück, flackerte, ging wieder zurück.
    Case riß das Papier aus dem Schlitz. Wieder Nullen. »Wintermute?« Er
    sah sich um im beige-braunen Salon, durch den die Papierschleifen
    schwirrten. »Warst das du mit dem Licht, Wintermute?«
    Neben Maelcums Kopf schob sich eine Verkleidung hoch und enthüllte
    einen kleinen Monitor. Maelcum zuckte erschrocken zusammen, wischte
    sich mit dem Schaumpolster auf dem Handschuhrücken den Schweiß von
    der Stirn und wandte sich dem Bildschirm zu. »Kannste Japanisch lesen,
    du?« Case sah, daß über den Monitor blinkende Zeichen huschten.
    »Nein«, sagte er.
    »Die Brücke ist Fluchtkapsel, Rettungsboot. Sieht wie'n Countdown aus.
    Anzug dicht, sofort!« Er setzte sich den Helm auf den Ring und drückte die Verschlüsse zu.
    »Was? Er hebt ab? Scheiße!« Case stieß sich von dem Gerät ab und
    schoß durch das Papiergewirr. »Wir müssen die Tür aufkriegen, Mann!«
    Aber Maelcum konnte sich nur an die Helmstirn tippen. Case sah, wie sich
    hinter dem Lexanglas seine Lippen bewegten. Er sah eine Schweißperle,
    die aus der bunten Litze am purpurroten Haarnetz, in dem der Zionit seine Mähne verstaut hatte, schnellte. Maelcum schnappte sich den Helm von Case, setzte ihn behutsam auf den Ring und drückte mit den Ballen
    seiner Handschuhe die Verschlüsse zu. Mikro-LED-Monitore leuchteten
    links vom Bildschirm auf, als der Halsringverschluß dicht war. »Versteh
    kein Japanisch«, meinte Maelcum über seinen Helmfunk, »aber Countdown
    ist falsch.« Er tippte auf eine bestimmte Zeile im Bildschirm. »Ist nicht dicht, das Brückenmodul. Startet mit offener Luke.«
    »Armitage!« Case versuchte, gegen die Tür zu trommeln. Die Gesetze
    der Schwerelosigkeit bewirkten, daß er, rückwärts purzelnd, durch die Pa—
    pierschlangen segelte. »Corto! Nicht! Wir müssen reden! Wir müssen...«
    »Case? Ich höre dich, Case...« Die Stimme hatte nur noch wenig Ähnlichkeit mit der von Armitage. Sie war sonderbar ruhig. Case hörte zu strampeln auf. Sein Helm knallte gegen die andere Wand. »Tut mir leid, Case, aber es geht nicht anders. Einer von uns muß hier rauskommen. Einer von
    uns muß als Zeuge übrigbleiben. Wenn wir hier alle draufgehn, ist hier
    Schluß. Ich werd's ihnen sagen, Case, ich werd alles sagen. Über Girling
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    und die andern. Und ich schaffe es, Case. Ich weiß, ich schaffe es. Bis nach Helsinki.« Plötzlich herrschte Stille; Case spürte, wie sie edelgasgleich seinen Helm ausfüllte. »Aber es wird schwer sein, Case, verdammt schwer.
    Ich bin blind.«
    »Corto, halt! Warte! Du bist blind, Mann. Du kannst nicht fliegen. Lan-dest in den verdammten Bäumen. Und sie versuchen, dich zu kriegen, Corto, sie haben, ich schwor's dir, deine Luke offen gelassen. Du wirst sterben, du wirst nie dazu kommen, ihnen alles zu sagen, und ich brauch das Enzym, Name des Enzyms, das Enzym, Mann...« Er brüllte hysterisch in höchsten Tönen. Die Rückkopplung schrillte aus den gepolsterten Helm—kopfhörern.
    »Denk an das Training, Case.

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