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Neva

Neva

Titel: Neva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Grant
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Fahrer des Transporters Gas gibt. Dann zeigt die Frau zur Brücke. Zwei Männer setzen sich in Bewegung und kommen auf mich zu.
    Ich weiche vom Geländer zurück und renne los. Meine Gedanken rasen schneller als meine Füße. Wer sind diese Leute? Sie arbeiten nicht bei der Polizei, sie tragen ja keine Uniformen. Vielleicht handelt es sich um eine Sondereinheit wie die Truppe damals, die mir meine Großmutter geraubt hat, ohne auch nur eine Spur von ihr zu hinterlassen. Ist Thomas ausgelöscht worden? Es ist so einfach! Man wird weggewischt wie ein Schmutzfleck auf der Scheibe. Und wenn sie mich jetzt erwischen, muss auch ich vielleicht erfahren, wie man sich als Schmutzfleck fühlt.
    Ich laufe davon.
    Ich stolpere auf der anderen Seite die Treppe hinunter zum Ufer und blicke mich um. Obwohl ich niemanden sehe, der mir folgt, spüre ich, dass sie mich einkreisen. Für sie wird es einfacher sein, mich zu entdecken: Sie müssen nur die Gegend nach einem Mädchen mit Pferdeschwanz und beigefarbenem Hemd absuchen.
    Natürlich!
Pass dich den Umständen an.
    Also verstecke ich mich unter der Brücke, rupfe das Gummiband aus meinem Haar und werfe es in den Fluss. Dann knote ich die Sweatjacke auf, schlüpfe wieder hinein und ziehe den Reißverschluss bis oben zu. Schützend lege ich die Hand über den Umschlag, der unter meinen Jeans steckt. Ich marschiere, aber meine Beine wollen rennen. Energisch bremse ich mich, doch nach kurzer Zeit setzen sie sich erneut durch. Abwechselnd beschleunigt sich mein Tempo, bevor ich es wieder drossele. Ich renne und bremse. Renne und bremse. Ich brauche eine Menschenmenge, in der ich untertauchen kann.
    Der Große Platz. Er ist nicht weit von hier entfernt. An der nächsten Straße biege ich ab. Mein Nacken pocht von der Anstrengung, stur geradeaus zu blicken. Ich wünsche mir verzweifelt, mich umzudrehen und zu sehen, ob mir jemand folgt. Aber das wäre zu auffällig.
    Auf dem Platz ist mehr los, als ich erwartet habe. Ich schlängele mich mit gesenktem Kopf durch die Menschenmenge. Ausnahmsweise bin ich mal froh über unsere Ähnlichkeit. Ich schiebe mich vorwärts, doch der Reibungswiderstand scheint mich zurückzuhalten: Mit so gut wie jedem Teil meines Körpers stoße ich gegen andere Personen, während ich mich an ihnen vorbeidränge. Mein Herz rast. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und schaue mich um. Es wird immer voller, und ich komme kaum voran, aber vielleicht bin ich schon gerettet.
    Ein Zettel wird mir in die Hand gedrückt. Ich mache eine abwehrende Bewegung, doch da schließt sich eine Hand um meine. »Lies«, flüstert jemand. Ich höre es überall um mich herum rascheln und knistern, als Zettel in weitere Hände gedrückt werden. »Unsere Hoffnung für die Zukunft«, sagt jemand mit tiefer, gleichmäßiger Stimme. Ich krümme die Finger um das Papier.
    Die stumme Demonstration – die hatte ich fast vergessen. Erneut stelle ich mich auf die Zehenspitzen und suche die Menge ab. Alle blicken zu Boden, es ist unmöglich, jemanden zu erkennen. Ich lasse mich zurück auf die Fersen sinken und schiebe mich ziellos durch die Masse. Sobald ich kann, bleibe ich stehen und entfalte das Papier. Die Überschrift lautet: »Die Protektosphäre tötet uns.« Ich drehe das Blatt um und erstarre. Der Artikel aus dem Archiv! Er ist wieder zusammengefügt worden.
    Die Flut aus Menschen reißt mich mit. Ich weiß nicht, was größer ist: meine Aufregung oder meine Angst. All diese Leute kennen nun ein Regierungsgeheimnis. Sanna und ich haben etwas bewirkt. Aber ich habe noch den Brief meiner Großmutter in meinen Jeans. Ich glaube, dass Thomas gerade ausgelöscht worden ist und dass sie – wer immer sie sein mögen – jetzt hinter mir her sind. Mein Überlebensinstinkt regt sich. Ich drücke jemand anderem den Flyer in die Hand, verschränke die Arme vor der Brust und schiebe mich durch die Menge. Jetzt kann jeder sehen, dass ich keine Propagandamittel verteile. Das Gedränge scheint von Minute zu Minute größer zu werden. Ich schaue mich um. Wie komme ich am schnellsten hier weg?
    Ich brauche Luft. Rasch klettere ich an der Statue von Dr. Benjamin L. Smith hoch. Von oben sehe ich, wie der Strom der Menschen sich vom Platz bis zum Ufer ergießt. Dort, wo die Leute sich aus der Menge lösen, werden Zettel in Taschen und Jacken gestopft und hier und da wie beiläufig fallen gelassen.
    »Neva! Neva, bist du das?«
    Der Klang meines Namens versetzt mich in Panik, aber ich tue, als

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