Nevada Pass
mehrmals. »Der Profit ist noch höher.«
Fünfzehn Minuten nachdem der Truppentransportzug seinen beschwerlichen Weg zum Hangman's Pass wieder aufgenommen hatte, trat Marica im Tagesabteil der Offiziere ans Fenster und blickte hinaus. Sie schien weder die sechs hinter ihr sitzenden Männer noch die eisige Kälte der Scheibe zu bemerken, gegen die sie ihre Stirn preßte. Schließlich sagte sie laut zu sich selbst: »Eine herrliche Aussicht.«
Und damit hatte sie zweifellos recht: Der Schneesturm hatte sich gelegt, und von ihrem Standort aus konnte sie sehen, wie der Schienenstrang in sanftem Bogen durch das atemberaubend schöne Tal nach unten verlief, bis er die spinnenbeinige Brücke erreichte, die tief unten die Schlucht überspannte. Wie häufig nach heftigem Schneefall erschienen alle Konturen ungewöhnlich scharf. Aber Claremont interessierte sich nicht für die Aussicht – ihn beschäftigten weit wichtigere und ausgesprochen unangenehme Dinge. »Kommen Sie mit Ihren Nachforschungen weiter, Marshal?« fragte er.
»Nein, Sir.« Pearce sah zwar nicht gerade gramzerfurcht aus – ein solches Gefühl zu produzieren, geschweige denn es auszudrücken, wäre ihm völlig unmöglich gewesen –, aber man hätte ihn gewiß nicht als heiter bezeichnen können. »Keiner weiß irgendwas, keiner hat irgendwas gesehen oder getan oder gehört, und keiner verdächtigt irgend jemanden. Nein, Sir, daß ich weitergekommen sei, kann ich wirklich nicht sagen.«
»Oh, ich weiß nicht«, widersprach Deakin. »Alles, was man ausklammern kann, bringt einen doch weiter. Ich zum Beispiel war gefesselt, also kann ich es nicht gewesen sein. Somit haben Sie es nur noch mit etwa achtzig Verdächtigen zu tun, Marshal. Für einen Mann, der –«
Er verstummte jäh, als ein scharfer Knall ertönte. Claremont sprang auf und rief alarmiert: »Was zum Teufel war das?«
Marica, die immer noch am Fenster stand, schrie: »O Gott! Um Himmels willen! Nein! Nein!«
Außer Claremont, Pearce und Deakin waren noch drei weitere Männer im Abteil: O'Brien, der Gouverneur und Reverend Peabody. Binnen zwei Sekunden waren alle am Fenster, und ihre Gesichter spiegelten das Entsetzen wider, das aus Maricas Stimme geklungen hatte – oder schien es nur so?
Die drei letzten Waggons – die beiden Waggons mit den Soldaten und der Bremswagen – hatten sich vom Zug gelöst und rollten mit rapide wachsender Geschwindigkeit den Weg zurück, den der Zug so mühsam heraufgekeucht war.
»Springt!« schrie Deakin. »Springt raus, bevor es zu spät ist.«
Aber niemand sprang.
Der mittlere der drei Waggons, in dem Sergeant Bellew einquartiert war, begann höchst bedrohlich zu schwanken und zu rattern. Das Klicken der Räder ertönte in immer kürzer werdenden Abständen, und da die Klemmplatten, die die Schienen hielten, mit Nägeln und nicht mit Schrauben an den Schwellen befestigt waren, bestand in zunehmendem Maße die Gefahr, daß der Schienenstrang selbst sich zu lockern begann.
Nach der anfänglichen Verwirrung machte sich unter den Soldaten in den abwärts rollenden Waggons panische Angst breit. Alle kämpften darum, das Gleichgewicht zu behalten, aber die meisten wurden wie Puppen hin und her geschleudert. Je zwei Mann bemühten sich, von Bellews scharfer Stimme angefeuert, die beiden Seitentüren zu öffnen. Aber nach wenigen fruchtlosen Bemühungen gaben sie auf. Und plötzlich schrie einer der Soldaten mit überschnappender Stimme:
»Großer Gott! Die Türen sind versperrt! Von außen!«
Starr vor Entsetzen und außerstande zu helfen blickten die sechs Männer und das Mädchen den drei Waggons nach, die inzwischen mindestens einen Kilometer zurückgelegt hatten, immer noch schneller wurden und so gewaltig schwankten, daß sich die Räder bereits von den Schienen hoben.
»Devlin! Der Bremser!« schrie Claremont. »Um Gottes willen, warum tut er denn nichts?«
Der gleiche Gedanke beschäftigte auch Sergeant Bellew, wenn auch verständlicherweise mit noch größerer Eindringlichkeit.
»Der Bremser! Der Bremser! Warum tut er denn nichts?«
Bellew rannte stolpernd durch den wild schwankenden Waggon zur hinteren Tür, was insofern kein Problem darstellte, als der Mittelgang völlig leer war, da alle Soldaten ihre Gesichter gegen die Fenster preßten und wie gelähmt in die verschwimmende Landschaft hinausstarrten.
Bellew erreichte die hintere Tür und zerrte mit aller Kraft an der Klinke. Aber auch diese Tür war versperrt. Bellew zog seinen
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