Nevada Pass
ich habe keine Ahnung. Vielleicht war das Holz verfault – so was kann vorkommen, ohne daß man es merkt – und dies hier ist tatsächlich die steilste Steigung in den Bergen. Aber ich kann nur Vermutungen anstellen. Aber das größte Rätsel ist mir, warum Devlin nicht gebremst hat.«
»Das wird wohl auch ein Rätsel bleiben«, sagte Claremont düster. Dann gab er sich einen Ruck: »Wie auch immer das Unglück geschah, es ist passiert, und wir ändern auch nichts mehr, wenn wir jetzt kostbare Zeit mit Mutmaßungen verschwenden. Es gib Wichtigeres zu tun. Als erstes müssen wir noch einmal versuchen, Verbindung mit Reese City oder Ogden zu bekommen – wir brauchen umgehend Ersatz für die armen Teufel. Gott schenke ihren Seelen den Frieden. Was für ein Ende! Die einzig angemessene Todesart für einen Kavalleristen ist es, durch Feindeshand zu fallen!« Claremont klang nicht ganz so dienstlich, wie er es gerne getan hätte, es kostete ihn offensichtlich einige Mühe, das Geschehene in den Hintergrund zu drängen. Er wechselte das Thema: »Ein Glück, daß wir wenigstens noch die Medikamente haben.«
Aber Deakin dämpfte seine Freude: »Das wird wohl auch nicht viel nützen.«
»Weshalb nicht?«
»Ohne einen Arzt, der weiß, wann man wem was und wieviel verordnet, sind sie so gut wie wertlos.« Man sah deutlich, wie Claremont mit sich rang, aber schließlich überwand er sich doch und sagte: »Sie sind doch Arzt.«
»Nicht mehr.«
Ein enger Kreis von Zuhörern bildete sich um die beiden. Selbst Marica, die immer noch leichenblaß war, kam interessiert näher.
»Aber, verdammt noch mal, Deakin, da oben herrscht die Cholera«, sagte Claremont wütend. »Ihre Mitmenschen –«
»Meine Mitmenschen werden mich aufhängen, und es ist die große Frage, ob sie damit bis nach der Gerichtsverhandlung warten werden. Zum Teufel mit meinen Mitmenschen. Und außerdem handelt es sich da oben, wie Sie selbst sagten, nicht um irgendeine Krankheit, sondern um die Cholera.«
Claremont starrte ihn voller Verachtung an: »Und das ist Ihr wahrer Grund?«
»Ich finde, es ist ein sehr guter Grund.«
Claremont wandte sich angewidert ab und blickte fragend in die Runde. »Ich habe nie Morsen gelernt. Kann jemand …«
»Ich bin zwar sicher nicht so gut wie Ferguson«, sagte O'Brien, »aber wenn Sie mir Zeit lassen …«
»Danke, Major. Henry, das Sendegerät steht vorne im Versorgungswaggon unter einer Plane. Bringen Sie es bitte ins Tagesabteil.« Er wandte sich an Banlon: »Makabererweise werden wir wohl sogar Nutzen aus dem grauenhaften Unglück ziehen – ohne die drei Waggons werden wir doch sicher schneller vorwärtskommen.« Diesmal war es Banlon, der seinem Optimismus eine Dämpfer aufsetzte. »Diese Rechnung geht nicht auf: Devlin war außer mir der einzige, der den Zug fahren konnte – und ich muß irgendwann einmal schlafen.«
»Mein Gott, das hatte ich ganz vergessen. Wollen Sie sich jetzt hinlegen?«
»Ich kann tagsüber doppelt so schnell fahren wie in der Nacht. Ich werde versuchen, bis zum Einbruch der Dunkelheit durchzuhalten. Aber dann werden wir – ich meine Rafferty und ich – ganz schön erledigt sein.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Claremont starrte auf die Kupplung hinunter, die vor ihm auf dem Boden lag. »Und wie steht es mit der Sicherheit, Banlon?«
Banlon rieb sich nachdenklich die grauen Bartstoppeln und sagte schließlich: »Ich sehe kein Problem, Colonel. Und dafür habe ich Gründe: Erstens standen die Chancen für ein solches Unglück eins zu einer Million – ich habe noch nie von einem solchen Fall gehört – und zweitens ist die Wahrscheinlichkeit, daß das gleiche noch einmal passiert, verschwindend gering, denn die Lokomotive hat jetzt viel weniger Gewicht zu ziehen, und demzufolge werden die Kupplungen geringer belastet. Drittens ist das hier die steilste Steigung der ganzen Strecke, und wenn wir die hinter uns haben, ist der Rest geradezu eine Spazierfahrt.«
»Sie sprachen von vier Dingen. Das waren erst drei.«
»Verzeihung, Sir.« Banlon rieb sich die Augen. »Ich bin wirklich schon müde. Viertens hole ich mir jetzt einen Hammer und einen Nagel und untersuche das Holz an allen Kupplungen.«
»Vielen Dank, Banlon.« Henry kam zurück. Der kummervolle Ausdruck auf seinem Gesicht hatte sich noch vertieft. »Fertig?« fragte Claremont.
»Nein.«
»Was heißt ›nein‹?«
»Der Sender ist verschwunden.«
»Was?«
»Jedenfalls ist er nicht im
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