Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
Dispute mit den wilden Cuerts im Sü d osten. Halsketten aus menschlichen Halswirbeln und Pe r len aus lackiertem Haar gehörten zu den Beutestücken, die ihnen abgenommen worden waren. Aber es gab dort auch Jagdtrophäen aller Art: Bisonfelle und Elefantenf ü ße und sogar ein großes Regal mit stachligen Geweihen von Höckerhirschen, die mein Vater zum Haus seiner Väter gesandt hatte. Mein Onkel nahm sich viel Zeit, um mir zu zeigen, was für eine heldenhafte Familieng e schichte wir hatten, und er ließ keinen Zweifel an seiner Erwartung, dass auch ich meinen Teil zu ihr beitragen würde. Ich glaube, ich spürte damals seine Enttäuschung, dass er selbst keinen eigenen Soldatensohn hervorg e bracht hatte. Bis sein Sohn und Erbe einen Soldatensohn zeugte, würde es keine neuen Tagebücher geben. Zum ersten Mal seit mehr als hundert Jahren würde eine Lü c ke in der Militärgeschichte der Burvelles klaffen. Kein eigener Sohn würde ihm die schriftlichen Aufzeichnu n gen seiner Heldentaten zu ihm schicken; das stimmte ihn verständlicherweise ein wenig traurig.
Schon damals bemerkte ich, dass der plötzliche Au f stieg meines Vaters in den Adelsstand einen gewissen Unmut in der Familie ausgelöst hatte. Es war Jahrzehnte her gewesen, dass ein gernischer König neue Titel ve r liehen und Land gewährt hatte. König Troven hatte zwei Dutzend verdienter Kämpen zu neuen Edlen ernannt. Die jähe Aristokratenschwemme hatte die Machtfülle der älteren Häuser geschwächt. Seine Kriegsherren empfa n den vielleicht ein höheres Maß an Loyalität gegenüber dem König, der sie so befördert hatte. Vor der Schaffung der Kriegsherren hatten die alten Edlen im Rat der He r ren über ihren mangelnden Einfluss gemurrt und ve r nehmlich ihren Anspruch auf einen Status angemeldet, der sich nicht auf bloße Beraterfunktion bei Hofe b e schränkte. Vielleicht, so hatten sie zu verstehen gegeben, sei nun die Zeit gekommen, da sie echte Macht ausübten. Des Königs neugeschaffener Adel ließ diese Rebellion ins Leere laufen und brachte sie zum Verstummen. Ich bin sicher, dass König Troven wusste, wozu er sich di e sen verlässlichen Block von treuen Anhängern schuf. Wenn es eines gibt, was tief im Bewusstsein eines Sold a ten verankert ist, dann ist es das Wissen, dass er seinem rechtmäßigen Führer zu folgen hat. Dennoch glaube ich, dass König Troven mit der Schaffung dieser neuen Adelskaste nicht bloß politisches Schach spielte, sondern dass ihm aufrichtig daran gelegen war, die zu belohnen, die ihm in schweren Zeiten treu und fest zur Seite g e standen hatten. Wahrscheinlich hatte auch er erkannt, dass die früheren Grenzregionen Edelleute brauchten, die sich auf den Überlebenskampf unter schwierigen Bedi n gungen verstanden.
Trotzdem bin ich sicher, dass meinem Onkel der G e danke durch den Kopf gegangen war – und ganz gewiss meiner Tante –, dass der König diese Ländereien ebenso gut den Burvelles des Westens hätte gewähren können, auf dass sie unter seine Kontrolle gefallen wären. Es muss ein seltsames Gefühl für ihn gewesen sein, in se i nem Soldatenbruder, dem Zweitgeborenen, dem, der g e boren war, um zu dienen, plötzlich einen Gleichgestel l ten, einen Ebenbürtigen sehen zu müssen. Auf jeden Fall schien es seine Gemahlin gehörig zu verwirren, meinen Vater als einen Gleichgestellten an ihrer Tafel begrüßen und ihn ihren Gästen als Lord Burvelle von Breittal im Osten vorstellen zu müssen.
Meine Mutter hatte mir ein Geschenkpaket für meine weiblichen Verwandten mitgegeben. Für meine beiden Basen hatte sie Kupferarmbänder aus flachländischer Erzeugung ausgewählt, weil sie glaubte, sie würden für die Mädchen einzigartig und interessant sein. Für meine Tante Daraleen gab es indes kein solch einfaches Präsent: Für sie hatte meine Mutter eine Kette aus Süßwasserpe r len von allerhöchster Güte ausgesucht. Ich wusste, wie teuer diese Perlen waren, und fragte mich, ob sie wohl den Zweck haben sollten, mir ein herzliches Willko m men im Hause meiner Tante zu erkaufen.
Solcher Art waren die Gedanken, die mich bewegten, während unsere Barke gemächlich stromabwärts gen Alt-Thares glitt. Von mir wurde erwartet, dass ich meinem Onkel und seiner Frau während der Zeit meines Studiums an der Akademie regelmäßig Besuch abstattete, dessen war ich mir bewusst. Selbstsüchtig wünschte ich mir, dass dem nicht so wäre; ich wollte lieber meine ganze Zeit meinem Studium und dem geselligen Beisamme
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