Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
für dich, mein Sohn«, versicherte er mir. »Letzten Endes ist doch die Familie das Wichti g ste auf dieser Welt. Ich hoffe, miterleben zu dürfen, dass du eine hervorragende Karriere in der Kavalla machst, ebenso wie ich hoffe, dass Rosse mein Land gut verwa l tet und dass deine Schwestern gute Ehemänner finden und der junge Vanze als frommer und gelehrter Mann Ansehen gewinnt. Doch vor allem hoffe ich, dass ihr euch in den Jahren, die vor euch liegen, in liebevoller Erinnerung behalten und stets alles in euren Kräften St e hende tun werdet, um das Wohl und die Ehre eurer Fam i lie zu mehren.«
»Wie es mein jüngerer Bruder über all die Jahre hi n weg stets für unsere Familie getan hat«, fügte mein O n kel Sefert hinzu und wurde mit einem stolzen Erröten belohnt, welches das Gesicht meines Vaters über das Lob seines älteren Bruders erglühen ließ.
An jenem Abend erlebte ich meinen Onkel als einen Mann, der ganz anders war, als ich ihn bis dahin wahrg e nommen hatte. Ich gelangte zu der Feststellung, dass sie vor mir wohl so ungezwungen redeten, weil sie in mir jetzt einen Mann sahen, der ihr Vertrauen mehr verdient hatte als ein Knabe. Wie zur Bestätigung dieses Geda n kens stellte mir mein Onkel gleich darauf eine Reihe hö f licher Fragen zu unserer Reise und zum Stand meiner Vorbereitung auf die Akademie mit all ihren Zwängen und Einschränkungen. Als er hörte, dass ich Sirlofty mi t gebracht hatte, lächelte er und nickte beifällig, riet mir aber: »Vielleicht solltest du ihn lieber bei mir unterste l len, bis du in deiner Ausbildung den Zeitpunkt erreichst, wo sie dir erlauben, ein eigenes Reittier zu halten. Ich habe mir sagen lassen, dass der Offizier, der für die ju n gen Kadetten zuständig ist, die neue Praxis eingeführt hat, am Anfang alle auf einheitliche Pferde zu setzen, des einheitlichen Erscheinungsbildes der einzelnen Regime n ter wegen.«
»Davon hatte ich noch nicht gehört«, sagte mein Vater mit einem Stirnrunzeln.
»Es ist auch erst ganz neu«, versicherte ihm Onkel S e fert. »Die Nachricht von dieser Neuerung ist wohl noch nicht bis zu den östlichen Grenzregionen gedrungen. Oberst Rebin hat sich kürzlich entschlossen, in den R u hestand zu treten. Manche sagen, seine Frau habe ihn dazu überredet, andere sagen, die Gicht in seinen Knien und Füßen sei so schmerzhaft geworden, dass er sich kaum noch auf einen Stuhl setzen könne, geschweige denn auf ein Pferd. Es gibt auch einige böse Zungen, die behaupten, dass er irgendwie den Unmut des Königs e r regt und es für klüger gehalten habe, von sich aus von dem Posten zurückzutreten, als darauf zu warten, bis der König ihn seines Amtes enthebt. Was auch immer der Grund gewesen sein mag, jedenfalls hat er die Akademie verlassen, und Oberst Stiet hat seinen Posten überno m men.«
»Oberst Stiet? Ich glaube, den kenne ich nicht«, b e merkte mein Vater mit hochgezogenen Brauen. Ich war erschrocken, wie sehr ihn diese unerwartete Neuigkeit zu beunruhigen schien.
»Das wäre auch sehr unwahrscheinlich«, sagte mein Onkel. »Er hat weder an der Grenze gedient, noch ist er ein Mann der Kavalla, aber ich habe gehört, dass er trotz alledem ein guter Offizier sein soll. Er ist hier in der Heimat die Karriereleiter nach oben geklettert, durch Fleiß und aufgrund seiner Dienstjahre, weniger durch seine militärischen Leistungen. Aber es wird gemunkelt, dass er, um es gelinde auszudrücken, mehr auf das Äuß e re achte als Oberst Rebin und dass sein Beharren auf farblich einheitlichen Pferden für jedes Regiment nur die Spitze des Eisbergs sei. Die Familie meiner Frau kennt die Stiets gut. Wir haben oft zusammen gespeist. Er mag vielleicht nicht der allerbeste Soldat sein, aber er wird sicher das Beste für die Akademie wollen.«
»Nun, ich bin nicht gegen ein bisschen Pingeligkeit. Ein Blick für Details kann einem Mann in einer kniffl i gen Situation manchmal das Leben retten.« Ich konnte hören, dass mein Vater für mich sprach, und ich vermut e te, dass er versuchte, das Beste aus einer schlimmen S i tuation zu machen.
»Es geht leider um mehr als um blitzende Unifor m knöpfe und blankgewienerte Stiefel.« Mein Onkel hielt inne. Er erhob sich, schritt einmal auf und ab und fuhr dann fort: »Was ich dir jetzt erzähle, ist reiner Klatsch, aber ich finde, dass du es wissen solltest. Ich habe gehört, er begünstige die Soldatensöhne der alteingesessenen Edelleute gegenüber den Kriegsherren von König Tr o ven, wie
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