Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
Hefte eingepackt und zurück in unsere Stube g e bracht. Wir drei hatten nur ein paar Minuten für uns, ehe es auch schon wieder an der Zeit war, nach unten zu g e hen und uns zu unserem Marsch zum Speisesaal aufz u stellen. Dieses Abendessen unterschied sich beträchtlich von dem Begrüßungsmahl des vorausgegangenen Abends. Heute gab es eine schlichte Mahlzeit aus Suppe, Brot und Käse; unser Mittagessen, so wurde uns zu ve r stehen gegeben, galt als die Hauptmahlzeit für den Tag. Wir langten allesamt tüchtig zu. Mir wäre ein gehaltvo l leres Abendessen lieber gewesen, und ich hatte das G e fühl, dass ich nicht der Einzige am Tisch war, der so dachte. »Ist das alles, was wir heute kriegen?«, fragte Gord mit kläglich klingender Stimme, gleichermaßen verwundert wie enttäuscht über den kargen Imbiss – eine Frage, die einiges Gelächter und ein paar Witze auf seine Kosten zur Folge hatte.
Nach dem Abendessen kehrten wir auf den Exerzie r platz zurück. Nach einer kurzen Flaggenzeremonie durch eine Ehrengarde aus älteren Kadetten ließ Dent uns abtr e ten, nicht ohne uns den Rat zu erteilen, dass es besser sei, wenn wir uns um unsere Uniformen und unsere Stiefel sowie um unsere zusätzlichen Hausaufgaben kümmerten, die wir für den nächsten Morgen brauchten, als unsere Zeit mit frivolem geselligen Beisammensein zu verge u den.
Wir machten – natürlich – beides. Unser Flur war ein einziges Gewimmel von Kadetten, die ihre Stiefel put z ten, ihre Eindrücke vom Tag miteinander austauschten, vor den Waschbecken Schlange standen und darüber spekulierten, was der nächste Tag bringen würde. Dent hatte indes Recht behalten. Als er heraufkam, um anz u kündigen, dass in zehn Minuten das Licht gelöscht we r den würde, war die Hälfte von uns mit diesen grundl e genden Pflichten noch nicht fertig. Wir nutzten die wen i ge Zeit, die uns noch blieb, so gut wir konnten, und nach Ablauf der zehn Minuten befahl uns Dent, unverzüglich das Licht auszumachen, ohne Rücksicht darauf, dass e i nige Kadetten noch nicht fertig waren. Es kam zu ein i gem Herumgetappe, Gestolpere und Gemurre, als wir uns im Dunkeln in unsere Stuben und Betten zurücktasteten. Ich kniete neben meinem Bett nieder, um mein Nachtg e bet zu sprechen. Meine Stubengenossen taten das Gle i che; jeder vertraute seine Gedanken dem gütigen Gott an, bevor er müde ins Bett stieg. Ich entsinne mich, dass ich noch dachte, das Einschlafen würde mir schwerfallen. Das Nächste, an was ich mich danach erinnere, war das Rühren der Trommel, die mich im Morgengrauen eines weiteren Tages an der Akademie weckte.
11. Initiation
Jener erste Tag an der Akademie bestimmte das Muster für die Tage, die dann folgten. An fünf Tagen pro Woche hatten wir Unterricht und Exerzieren. Am Sechsttag ha t ten wir Gottesdienst und Religionsunterricht, an den sich obligatorische Freizeit in Form von Musik, Sport, Kunst oder Poesie anschloss. Den Siebttag durften wir ange b lich so verbringen, wie wir wollten. In der Realität sah das freilich so aus, dass der Tag so erfüllt war mit Le r nen, Wäschewaschen, Haareschneiden und anderen Di n gen, die wegen des hektischen Stundenplans während der Woche hintangestellt werden mussten, so dass uns kaum Freizeit blieb. An diesem Tag bekamen wir auch Post oder Besuch von Familienangehörigen oder Freunden. Erstjährler durften nur in den Ferien in die Stadt, es sei denn, es handelte sich um einen notwendigen Gang, zum Beispiel um Kleidung zum Flicken zum Schneider zu bringen oder dergleichen. Doch im Laufe der Zeit lernten wir einige der Zweitjährler kennen, und gegen eine kle i ne Gebühr brachten sie einem gern Tabak, Süßigkeiten, Pfefferwürstchen, Zeitungen und andere Genussmittel mit.
Das klingt alles nach einer sehr eingeschränkten und rigiden Existenz, doch wie mein Vater es vorausgesagt hatte, bildeten sich Freundschaften, und ich fand das L e ben gleichermaßen aufregend wie angenehm. Natred, Kort, Spink und ich kamen glänzend miteinander aus, was unsere Stube zu einem wirklich angenehmen Au f enthaltsort machte. Wir teilten uns die unangenehmen Pflichten, ohne dass einer versuchte, sich zu drücken. Das bedeutete freilich nicht, dass wir die Stubeninspe k tionen jedes Mal ungeschoren überstanden, denn diejen i gen, die uns inspizierten, spürten mit großer Begeist e rung Dinge auf, die wir beim Saubermachen vergessen hatten: zum Beispiel die obere Kante unserer Tür abz u stauben oder Wassertropfen von
Weitere Kostenlose Bücher