Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
Rory, Trist, Trent und Caleb weiterhin abwechselnd »ihre Wäsche« zu Trists Wäscherin brachten.
Trotz seines Betruges war Trist so temperamentvoll und liebenswert, dass ich seine Gesellschaft und sein Temperament unter anderen Umständen bestimmt sehr geschätzt hätte und ihm wahrscheinlich bereitwillig g e folgt wäre. Aber ich hatte Spink vor ihm kennengelernt und mich mit ihm angefreundet, wenn auch nur ein paar Stunden, und ich fand, dass ich nicht mit Trist befreundet sein konnte, ohne Spink vor den Kopf zu stoßen, also versuchte ich es erst gar nicht.
Es war merkwürdig zu sehen, wie sich zwischen uns Bündnisse und Rivalitäten bildeten, und ich war dankbar für die Einsichten, die sowohl mein Vater als auch Se r geant Duril mir vermittelt hatten, denn sie ermöglichten mir, all das fast unparteiisch zu verfolgen. Ganz offe n sichtlich lag es nicht an irgendeinem Charakterfehler, dass Trist und Spink einander feindlich gesinnt waren, sondern daran, dass sie beide Führernaturen waren. Ich konnte sogar sehen, dass Spink als zukünftiger Truppe n führer n och würde lernen müssen, seinen Willen den re a len Lebensbedingungen anzupassen, während Trist sein überbordendes Selbstwertgefühl in den Griff kriegen musste, damit er sich nicht aus schierem Übermut dazu hinreißen ließ, mit seinen Männern übertriebene Risiken einzugehen. Ich fragte mich auch, ob es mir selbst an Führungsqualitäten mangelte, weil ich mich nicht dazu genötigt fühlte, einen von beiden oder vielleicht sogar beide herauszufordern. Mehr als eine Nacht lag ich wach und grübelte darüber nach. Mein Vater hatte oft gesagt, die Fähigkeit eines Offiziers zu führen gründe sich nicht bloß auf seinen Drang danach, sondern vor allem auf sein Vermögen, in anderen den Wunsch wachzurufen, ihm zu folgen. Ich sehnte mich nach einer Gelegenheit, die mir erlauben würde zu beweisen, dass ich führen konnte, aber tief in meinem Herzen wusste ich, dass Burschen wie Trist nicht auf eine solche Chance warteten. Sie taten es einfach.
Als ob die Zwänge und Nöte eines neuen Lebens fern von zu Hause im Verein mit anstrengendem Unterricht und stundenlangem Büffeln nicht schon wahrlich genug gewesen wären, mussten wir auch noch eine sechswöch i ge »Initiation« über uns ergehen lassen. Während dieser Zeit mussten wir jede Aufgabe verrichten und uns jede Demütigung gefallen lassen, die sich die älteren Kadetten ausdachten. Vieles davon kam in Gestalt von Streichen daher. Bei anderen Gelegenheiten war es simple Schik a ne, die wir erdulden, oder unsinnige Befehle, die wir b e folgen mussten. Solcherlei Hänseleien kamen meistens von älteren Kadetten anderer Häuser, aber die Zweit- und Drittjährler von Haus Carneston taten nichts, um uns d a vor zu beschützen. Einige der Späße waren harmlos oder sogar witzig, besonders wenn sie nicht einem selbst pa s sierten, aber mitunter waren die Streiche auch bösartig. Von dem Stück Seife, das eines Morgens seinen Weg in unsere Kaffeekanne fand, wurde nur zweien von uns übel; die anderen von uns kosteten und schoben ihre B e cher beiseite, als sie merkten, dass etwas nicht stimmte. Ich weiß nicht, wer sich mehr ärgerte – die Kadetten, die den Tag auf der Toilette verbringen mussten, oder diej e nigen, die auf ihren Morgenkaffee verzichten mussten. Eines Nachmittags waren die Türen unseres Gemei n schaftsraumes mit Eimern schmutzigen Wischwassers präpariert, das sich über Nate und Rory ergoss, als sie sie öffneten. Scheite stinkenden Holzes, unauffällig unter unser normales Feuerholz geschmuggelt, trieben uns e i nes Abends aus dem Zimmer. Ein quer über die Treppe gespannter Stolperdraht und gelöschte Lampen auf dem Treppenabsatz ließen Rory, Lofert und Caleb im hohen Bogen die Treppe hinunterkrachen, wobei sie sich üble Prellungen und Schürfwunden zuzogen. Drei Tage hi n tereinander wurden wir unmittelbar vor der Stubeni n spektion dergestalt sabotiert, dass der Inhalt unserer Spinde über den Boden verstreut und unsere Kojen u m gekippt wurden. Ein anderes Mal war unser Bettzeug großzügig mit einem sehr billigen und sehr intensiv ri e chenden Parfüm benetzt. »Hurenhaus im Juni« taufte Rory die Kreation, deren aufdringliches Arom uns noch Wochen begleitete.
Die Zweit- und Drittjährler, die in den unteren Stoc k werken von Haus Carneston untergebracht waren, schi e nen uns während der Zeit unserer Initiation als ihr pe r sönliches Eigentum zu betrachten und gefielen
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