Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
langweiligeren Angelegenheit machte, als sie dies ohnehin schon war. Wenigstens hatte ich mir bloß den ersten Satz Zusatzau f gaben neben den regulären Hausaufgaben eingehandelt. Einige von den anderen hatten gleich vier Sätze zusätzl i cher Aufgaben aufgebrummt bekommen. Trist war als Erster fertig und sagte uns fröhlich Lebewohl, bevor er sich in die relative Ruhe und Gemütlichkeit seiner Stube zurückzog. Neben mir quälte sich Spink unter Hinterla s sung zahlreicher Tintenkleckse durch seine Varnisch ü bersetzung und schrieb dann den Brief an seine Mutter.
Ich war mit meinen Mathematikaufgaben fast fertig, als er sein Buch hervorholte und widerstrebend die erste Seite aufschlug. Ich beobachtete i hn aus dem Augenwi n kel, während er die angegebenen Beispiele studierte und sich dann an die Lösung der ersten Aufgabe machte. Er holte tief Luft, als wolle er von einer Brücke ins Wasser springen, und fing an. Unser Unteroffizier kam und stel l te sich hinter ihn. Als Spink dabei war, seine zweite Au f gabe zu lösen, beugte er sich über seine Schulter. »Sechs mal acht ist achtundvierzig. Das ist Ihr Fehler, bei dieser und bei der ersten Aufgabe. Sie müssen sich so schnell wie möglich die Grundrechenarten aneignen, sonst we r den Sie auf der Akademie nicht weit kommen. Ich bin entsetzt, dass Sie die nicht schon längst können.«
Spink wurde noch stiller, wenn das überhaupt möglich war, und hielt den Blick starr auf sein Blatt geheftet, als fürchte er, erneut dem Spott ausgesetzt zu sein, wenn er ihn hob.
»Haben Sie nicht gehört, was ich gesagt habe?«, raunzte ihn der Unteroffizier an. »Schreiben Sie erst die erste Aufgabe neu, bevor sie mit der zweiten fortfahren.«
»Jawohl, Sir«, antwortete Spink leise und begann vo r sichtig, den Fehler auf seinem Blatt auszuradieren, wä h rend der Unteroffizier seine Runde um den Tisch for t setzte. Die Ankunft von Rory und Kort lenkte seine Aufmerksamkeit für einen Moment ab. Just als er ihnen Plätze am Tisch zugewiesen hatte, kam ein sehr rotg e sichtiger Gord die Treppe heraufgeschnauft. Der Schweiß hatte nasse Bahnen an den Seiten seines G e sichts hinterlassen, die sich in den Speckrollen seines Nackens verloren. Nach den vielen Strafrunden, die er hatte absolvieren müssen, roch er nach Schweiß, aber nicht nach dem Schweiß eines sauberen Mannes, sondern nach altem festgebackenem Schmutz. »Puh!«, rief einer der am Tisch Sitzenden in leisem Abscheu, nachdem Gord auf dem Wege zu seiner Stube an ihm vorbeig e walzt war.
»Ich glaube, ich bin fertig«, verkündete Natred auf e i ne Weise, die keinen Zweifel daran ließ, dass er in Wir k lichkeit vor Gords strengem Geruch flüchtete. Er raffte seine Bücher und seine Blätter zusammen und ging hi n aus, und der Platz auf der anderen Seite von Spink war nun leer. Kaum war er draußen, kam Gord herein, seine Bücher unter dem Arm. Er ließ sich dankbar auf den frei gewordenen Stuhl plumpsen und legte seine Bücher auf den Tisch. Er grinste mich an Spink vorbei an, sichtlich erleichtert darüber, dass er endlich sitzen konnte. »Was für ein Tag!«, rief er, worauf der Wachhund ihn sofort anbellte: »Wir sind zum Lernen hier, Fettsack, nicht zum Quatschen! Machen Sie gefälligst Ihre Hausaufgaben!«
Und wieder sah ich es. Es war, als hätte Gord eine ka l te Maske aufgesetzt. Sein Gesicht wurde starr, sein Blick ging in die Ferne, und wortlos schlug er seine Bücher auf und machte sich an seine Hausaufgaben. Ich weiß nicht, was mich weiter auf meinem Stuhl hielt. Ich sehnte mich danach, allein zu sein, und blieb dennoch sitzen. Spink hatte sich gerade an seine dritte Aufgabe gemacht. Er schrieb sie sorgfältig ab und begann dann zu rechnen. Ich berührte leicht seine Hand. »Es gibt einen einfacheren Lösungsweg. Soll ich ihn dir zeigen?«
Spink wurde ein wenig rot. In Erwartung eines Ve r weises schaute er zum Aufseher. Um dem zuvorzuko m men, hob er den Finger und sagte: »Darf ich Sie darum bitten, dass Sie dem Kadetten Burvelle die Erlaubnis e r teilen, mir bei meinen Rechenaufgaben zu helfen?«
Ich zuckte innerlich zusammen, weil ich mit einer ä t zenden Antwort rechnete. Stattdessen nickte der Untero f fizier ernst. »Helfen ja, Kadett, solange er sie nicht für Sie macht. Einem Kameraden zu helfen ist gute Tradition in der Kavalla. Nur zu.«
Wir steckten die Köpfe zusammen, und ich zeigte Spink, wie er an die Aufgabe herangehen musste. Er machte sich ernst daran und gelangte zur
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