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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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richtigen L ö sung, mit nur einem einzigen leichten Rippenstoß von mir, wieder wegen eines simplen Rechenfehlers. Doch als er sagte: »Es ist viel leichter so, aber ich verstehe nicht, warum ich es so machen kann. Es kommt mir so vor, als würden wir damit einen Lösungsschritt übe r springen.«
    »Nun ja, wir machen das, weil wir es halt können«, sagte ich, und dann hielt ich verdutzt inne. Ich wusste, was ich gemacht hatte, und ich hatte ähnliche Aufgaben schon Hunderte von Malen gelöst. Aber ich war noch nie auf den Gedanken gekommen, meinen Mathetutor zu fragen, warum man es so machte.
    Gords Hand legte sich sanft auf Spinks Blatt, genau auf die Aufgabe. Wir schauten ihn beide feindselig an, weil wir glaubten, er fühle sich von unserem Getuschel gestört. Stattdessen sah er Spink an und sagte leise: »Ich glaube, du verstehst nicht so genau, was Exponenten sind. Sie sollen eine Abkürzung sein, und wenn du sie erst einmal verstanden hast, sind sie sehr leicht anzuwe n den. Soll ich dir zeigen, wie?«
    Spink warf mir einen fragenden Blick zu, als erwarte er, dass ich verärgert sei. Ich hob die Hand, um Gord zu bedeuten, dass er loslegen sollte. Das tat er. Er sprach leise und vergaß dabei völlig seine eigenen Bücher, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Er war der geborene Le h rer, ein Naturtalent. Mir war das sofort klar. Er wollte Spink helfen, bevor er sich an seine eigenen Hausaufg a ben machte, und das, obwohl er durch sein spätes E r scheinen selbst in Zeitverzug geraten war. Allerdings nahm er Spink keineswegs die Arbeit ab, etwa, indem er die Aufgabe selbst löste. Stattdessen erklärte er ihm, was Exponenten waren, auf eine Weise, die auch mir die A u gen öffnete. Ich war gut in Mathe, aber auf eine rein praktische, mechanische Art, etwa so, wie ein kleines Kind aufsagen kann »neun plus zwölf ist einundzwa n zig«, lange bevor es weiß, was Zahlen sind oder dass sie Mengen bedeuten. Ich konnte mit Zahlen und Symbolen korrekt umgehen, weil ich die Regeln kannte. Gord aber verstand die Prinzipien. Er erklärte Exponenten auf eine Weise, die mir deutlich machte, dass ich die ganze Zeit auf eine Landkarte der Mathematik geschaut hatte, wä h rend Gord die eigentliche Landschaft kannte. Das ist eine unzulängliche Erklärung für das, was ich meine, aber es ist die beste, die mir einfällt.
    Gords mathematisches Wissen weckte eine widerwi l lige Bewunderung für ihn in mir; widerwillig deshalb, weil ich ihm immer noch nicht verzeihen konnte, wie er mit seinem Körper umging. Mein Vater hatte mich g e lehrt, dass mein Körper das Tier war, das der gütige Gott um meine Seele herum geschaffen hatte. So, wie ich mich schämen sollte, wenn mein Pferd ungepflegt war oder kränkelte, sollte ich mich auch schämen, wenn ich meinen Körper vernachlässigte. Alles, was es dazu bra u che, so hatte er mich gelehrt, sei gesunder Menschenver s tand. Ich konnte nicht verstehen, wie Gord es ertragen konnte, in so einem plumpen, unbeholfenen Körper zu leben.
    Die Neugier ließ mich am Tisch verharren und g e bannt verfolgen, wie Gord Spink durch jede einzelne Aufgabe geleitete und ihm erklärte, wie mit den Zahlen umgegangen werden konnte und warum. Erst als Spink fertig war, wandte sich Gord seinen eigenen Hausaufg a ben zu. Zu diesem Zeitpunkt waren wir fast schon die Letzten am Tisch. Sogar der Wachhund hatte sich einen Stuhl ans Feuer gezogen und döste vor sich hin, ein au f geschlagenes Militärgeschichtsbuch auf dem Schoß.
    Spink lernte schnell. Er arbeitete sich zügig durch die Übungen, suchte nur gelegentlich um Hilfe nach, wenn eine Aufgabe vom Gelernten abwich, und auch dann meist nur, um bestätigt zu bekommen, dass er die Aufg a be korrekt gelöst hatte. Spink hatte Probleme, was die Beherrschung d er mathematischen Grundregeln betraf. Mehrere Male musste ich ihn mit der Nase auf kleine Rechenfehler stoßen. Ich hatte mein Grammatiklehrbuch aufgeschlagen vor mir liegen, mit dem Brief, den ich aufgesetzt hatte, als wolle ich ihn ein letztes Mal Korre k tur lesen – aus Loyalität zu Spink, vermute ich. Er und Gord waren gerade mit ihrer Arbeit fertig, als der Wac h hund aus seinem Nickerchen hochschrak und uns dann wütend anstarrte, als sei es unsere Schuld, dass er eing e schlafen war. »Sie sollten langsam fertig werden«, sagte er barsch. »Ich gebe Ihnen noch zehn Minuten. Sie mü s sen lernen, sich Ihre Zeit besser einzuteilen.«
    In weniger als zehn Minuten hatten wir unsere Bücher und

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