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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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dieser Versammlung abzustimmen hatte. Ich we i gerte mich, meinen Kopf damit zu belasten, und nur auf dem Wege einer erzwungenen Osmose durch unfreiwillig mitgehörte Unterhaltungen hatte ich erfahren, dass es bei einer dieser Entscheidungen darum gehen würde, wie der König Mittel für den Weiterbau seiner Straße und für seine Forts im fernen Osten beschaffen sollte. Auch b e kam ich mit, dass es heftige Meinungsverschiedenheiten wegen irgendwelcher Steuereinkünfte gab, von denen die alten Edelleute behaupteten, dass sie traditionell ihnen gebührten. Jetzt beanspruchte der König einen bestim m ten Prozentsatz davon. Auch wenn in den meisten uns e rer Klassen nicht über Politik diskutiert wurde, gab es doch zahlreiche Debatten auf den Fluren, und einige d a von wurden ziemlich hitzig geführt. Die Streitpunkte, um die es dort ging, kamen mir ziemlich kompliziert vor, und da sie absolut nichts mit dem Militär zu tun hatten, schenkte ich ihnen keine Beachtung. Die Söhne von a l tem Adel schienen solche Streitfragen jedoch als persö n lichen Affront zu betrachten und sagten Dinge wie: »Der König wird unsere Familien mit dem Bau seiner Straße nach Nirgendwo noch an den Bettelstab bringen!« Oder: »Er will seine Hätscheltierchen, seine selbsternannten Kriegsherren, als Stimmvieh benutzen, um ein Gesetz durchzubringen, das ihm gestattet, uns unsere Einkünfte wegzusteuern.« Keiner von uns hörte es gerne, wenn sein Vater als »Hätscheltierchen« bezeichnet wurde, und so erwachte erneut die Zwietracht zwischen uns. Sie wuchs weiter, als sich das Ende der Woche näherte, denn viele der Kadetten fieberten voller Vorfreude der ersten Nacht entgegen, die sie seit unserer Ankunft außerhalb des Wohnheims verbringen würden. Die Glücklichen sollten den Campus am Fünfttagnachmittag verlassen dürfen und konnten bis zum Siebttagabend bei ihren Familien ble i ben.
    Der bevorstehende Kurzurlaub war das Hauptthema, als wir uns an jenem Dritttag fürs Mittagessen anstellten. Bisher hatte immer das Prinzip gegolten: »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst« – jede Gruppe reihte sich eben in die Schlange ein. Da wir gesittet und in geordneter Fo r mation in den Speisesaal treten mussten, konnte das Wa r ten mitunter zu einer ziemlich lästigen Angelegenheit werden, besonders wenn uns der Magen knurrte, und das war eigentlich immer der Fall. Am schlimmsten war es, wenn es regnete und man sich noch außerhalb des G e bäudes in der Schlange befand. Schließlich durfte ein Kadett nicht einmal den Kopf einziehen, sondern musste in korrekter Haltung warten. An jenem Tag blies ein eis i ger Wind, und der Graupel, der auf uns herniederprasse l te, bildete eine weiße Schicht auf unseren Köpfen und Schultern und sickerte uns in dünnen, kalten Rinnsalen in den Kragen. Deshalb waren wir alles andere als erfreut, als Unteroffizier Dent uns befahl, geschlossen zur Seite zu treten, um einer anderen Gruppe den Vortritt zu la s sen. Obwohl wir uns darüber ärgerten, waren wir ve r nünftig genug, die Klappe zu halten – bis auf Gord, der in ziemlich gereiztem Ton fragte: »Sir, warum dürfen die denn vor?«
    »Ich bin Unteroffizier!«, raunzte Dent ihn an. »Sie sollten inzwischen gelernt haben, dass Sie mich nicht mit ›Sir‹ anzureden haben! Sie haben mich überhaupt nicht anzureden, wenn Sie in Reih und Glied stehen. Sie haben nur dann zu sprechen, wenn Sie dazu aufgefordert we r den, Kadett!«
    Für den Moment waren wir eingeschüchtert genug, um keine Widerworte zu geben. Meine Ohren begannen al l mählich taub zu werden von der Kälte, aber ich sagte mir, dass ich das schon aushalten würde. Doch als wir gleich darauf einer weiteren Gruppe den Vortritt lassen sollten, maulte Rory: »Wir sollen also schweigend ve r hungern? Und nicht mal fragen dürfen, warum?«
    Dent schnauzte ihn an: »Ich fasse es nicht! Zwei Stra f runden für jeden von euch wegen Schwatzens beim A n stehen zum Essen. Und wenn ich es erklären muss, will ich es halt tun. Diese Männer sind Zweitjährler aus Haus Chesterton.«
    »Aha? Haben sie deshalb mehr Hunger als wir?«, fra g te Rory patzig. Rory fühlte sich durch eine Strafe immer noch mehr angestachelt als eingeschüchtert. Er würde nicht locker lassen, bis er eine Antwort erhalten hatte, die ihn zufrieden stellte, und wenn es ihn ein Dutzend Stra f runden kostete. Ich schüttelte innerlich den Kopf und hoffte, dass ich die Strafen, die er sich einhandelte, nicht mit ihm würde abbüßen müssen.

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