Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
bei uns verbringt. Ich w erde noch an diesem Siebttag vor lauter Langeweile sterben, wenn wir ni e manden bei uns haben, der mir die Zeit vertreiben kann. Bitte, Papa! Mama wird ganz bestimmt nichts dagegen haben! Sie ist fort, um der Königin aufzuwarten, also wird sie sich nicht über zu viel Gesellschaft und über zu laute Spiele beklagen, von denen sie Kopfschmerzen kriegt! Bitte, bitte!«
Noch nie hatte ich eine Frau ihres Alters quengeln und betteln hören wie ein kleines Mädchen. Ich wäre von Epinys Auftritt wohl noch peinlicher berührt gewesen, hätte ich nicht eine verzweifelte Hoffnung über Spinks Gesicht huschen sehen. Sie war schon wieder ve r schwunden, kaum dass ich sie gesehen hatte, aber ich wusste, dass mein Onkel sie auch wahrgenommen hatte, als er in sanftem Ton sagte: »Epiny, mein Liebes, ich würde ja wirklich sehr gern Nevares Freund einladen, aber ich fürchte, dazu ist jetzt nicht mehr die Zeit. Ich müsste erst einmal bei Oberst Stiet die Erlaubnis dazu einholen, und der Kadett Kester würde Zeit brauchen, um seine Sachen zu packen. Wir können ihn ja vielleicht das nächste Mal einladen, wenn die Erstjährler mal wieder ein paar Tage frei bekommen.«
Sie stieß ein missbilligendes Schnauben aus und ve r schränkte störrisch die Arme vor der Brust. Es fehlte nicht viel, und sie hätte mit dem Fuß aufgestampft. »P a pa, das ist doch nun wirklich kein Problem! Du gehst jetzt zu Oberst Stiet und sagst ihm, dass wir ihn mitne h men, und er kann unterdessen schnell zurückrennen und ein paar Sachen zusammenpacken. Männer brauchen sehr wenig, wenn es um Kleidung und solche Dinge geht. Ich bin sicher, er wäre im Nu wieder hier. Nicht wahr, Spinrek, das wärst du doch?« Sie lächelte äußerst beza u bernd, während sie unverfroren zum vertraulichen »du« überging.
Spink reagierte wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange: Er erstarrte. Epiny und er waren etwa gleich groß, und sie legte neckisch den Kopf schief und lächelte ihn an, während sie auf seine Antwort wartete. Er starrte in ihre schelmisch blitzenden Augen und wus s te, dass er irgendetwas antworten musste und dass die einzige höfliche Antwort ein »ja« wäre. »Ich denke, schon«, sagte er, und als ihm plötzlich bewusst wurde, dass er damit meinen Onkel in eine schwierige Situation gebracht hatte, fügte er hastig hinzu: »Aber ich bezwe i fle, dass Oberst Stiet mir so kurzfristig die Erlaubnis d a zu erteilen würde.«
»Oberst Stiet? Ach, mach dir wegen dem mal keine Gedanken! Meine Mutter kennt seine Frau gut, und die Gattin des Obersts würde sich geradezu zerreißen, um ihr einen Gefallen zu tun. Ich gehe mit Papa mit und sage ihr, dass meine Mutter es als einen persönlichen Gefallen betrachten würde, wenn du die Erlaubnis bekämst, uns zu besuchen. Und nun lauf und hol rasch deine Siebens a chen, damit wir nicht warten müssen, wenn wir zurüc k kommen. Komm, Papa, lass uns schnell zu Oberst Stiet gehen!«
»Epiny, du bist unmöglich!« Zu meinem Entsetzen schimpfte mein Onkel nicht nur nicht mit ihr, sondern lachte auch noch über ihr ungehöriges Benehmen.
»Nein, Vater, das bin ich gewiss nicht! Was ist denn so unmöglich daran, sich ein bisschen Kurzweil zu ve r schaffen, wenn das Haus so still wie ein Grab ist und ich nur Nevare zum Kartenspielen habe? Schau doch nur, wie grimmig er mich jetzt schon anguckt! Ich glaube nicht, dass er sonderlich unterhaltsam sein wird. Purissa ist zu klein, als dass sie schon mitspielen könnte … oder willst du dir die Zeit nehmen, mit uns zu spielen? Oh, Papa, würdest du das? Wenn ich mit dir Towsers spiele, kann ich nie deine letzte Karte erraten. Spielst du mit, Papa?«
Mein Onkel machte ein gequältes Gesicht, und ich fragte mich unwillkürlich, wie viele Partien Towsers er in der letzten Zeit wohl mit ihr hatte spielen müssen. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie meine Schwestern sich für Tischmurmeln begeistert hatten und das Spiel einen ganzen Sommer lang buchstäblich zu ihrem L e bensinhalt gemacht hatten. Mein Vater hatte sich das Ganze einen Monat stirnrunzelnd angesehen, dann hatte er sie damit zuerst ins Schulzimmer verbannt und es schließlich, nachdem meine Mutter sich darüber beklagt hatte, dass sie ihre Pflichten und ihren Unterricht ve r nachlässigten, ganz verboten. Onkel Sefert schien es mit einer anderen Taktik probieren zu wollen. In einem en t scheidenden Moment sah ich sowohl Spink als auch mich als Opfer für Epinys Caprice
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