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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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als ich mich vor ihr verbeugte.
    Epiny schien weniger angetan vom Auftritt ihrer kle i nen Schwester. »Und nun lauf rasch weiter, Purissa!«, befahl sie der Kleinen. »Ich führe die beiden noch bis zum Abendessen herum.«
    »Ich will mit euch gehen.«
    »Nein. Lauf weiter.«
    »Dann erzähl ich es Mutter, wenn sie wiederkommt.«
    »Und dann erzähl ich ihr, dass du allein im Garten herumgestreunt bist, und das genau zu der Stunde, in der du eigentlich bei Diakon Jamis die Heilige Schrift studi e ren solltest.«
    Die Kleine wirkte nicht im Geringsten eingeschüc h tert. »Er ist eingeschlafen. Er schnarcht, und sein Atem stinkt nach Knoblauch. Da musste ich weglaufen.«
    »Und jetzt musst du schön wieder zurück ins Haus g e hen. Wenn du klug bist, wirst du im Unterrichtszimmer sitzen und mit der Nase in deinen Büchern stecken, wenn er wieder aufwacht.«
    »Das ganze Klassenzimmer stinkt nach seinem übe l riechenden Atem!«
    Ich war entsetzt darüber, wie freimütig, ja geradezu derb meine beiden Basen über ihren Lehrer redeten. Ich hatte nie gedacht, dass Mädchen untereinander solche Gespräche führen könnten. Trotzdem konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Spink tat sich weniger Zwang an und lachte frei heraus, und sogar Epiny schien berührt von den Nöten ihrer kleinen Schwester. Sie zog ein wi n ziges Taschentuch aus der Tasche und gab es ihr mit den Worten: »Geh zu den Lavendelbeeten und sammle L a vendelblätter in diesem Tüchlein. Dann setz dich an de i nen Schultisch und halte es dir vor die Nase, während du liest. Es wird den Knoblauchgestank überdecken.«
    »Die heutige Lektion ist langweilig. Es ist das zweite Kapitel der Gehorsamen Ehefrau.«
    Epiny sah ihre Schwester bestürzt an. »Das ist in der Tat langweilig. Das ist noch langweiliger als langweilig. Steck den Finger an die Stelle, damit du sie sofort wi e derfindest, und lies stattdessen das Buch der Strafe. Es handelt davon, welche Strafen die Menschen für die ve r schiedenen Sünden im Leben nach dem Tode erleiden müssen. Es ist sehr blutrünstig und auf eine schaurige Art ziemlich unterhaltsam. Wenn der Diakon wach wird, schlag das Buch einfach schnell wieder an der Stelle auf, wo du den Finger reingesteckt hast.« Sie beugte sich ein Stück näher zu ihr hinüber und fügte im Flüsterton hinzu: »Du solltest sehen, was darin steht, wie es aufsässigen und unzüchtigen Töchtern ergeht.«
    Purissas Gesicht leuchtete, als hätte man ihr süßes Naschwerk versprochen. Ich war leicht schockiert, doch als ich Spink anschaute, um zu sehen, wie er auf meine ungebärdige Base reagierte, grinste er. Er zwinkerte P u rissa zu und sagte: »An das Buch erinnere ich mich gut. Die Strafe für Söhne, die ihre älteren Brüder nicht so achten, wie sie es sollten, bescherte mir mehrere schla f lose Nächte.«
    »Du kannst uns nach dem Abendessen beim Karte n spielen zuschauen, wenn du jetzt artig bist und brav wi e der ins Haus zurückläufst«, versuchte Epiny ihre kleine Schwester zu ködern.
    »Nein, ich will nicht nur zugucken! Ich will auch spi e len! Oder ich geh jetzt nicht weg!«
    Epiny seufzte. »Vielleicht. Aber nur ein paar Partien!«
    Dieses Bestechungsangebot gab den Ausschlag. Puri s sa nahm das Taschentuch und trollte sich zu den Lave n delbeeten. Als sie außer Sichtweite war, wandte sich Epiny wieder zu Spink um und fragte ihn in gespielt förmlichem Ton: »Sollen wir mit unserer Führung for t fahren, Kadett Kester?«
    »Wenn es der Dame gefällt, gern!«, antwortete er mit der gleichen gespielten Förmlichkeit und machte eine Verbeugung. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, bot er ihr seinen Arm an, und sie hakte sich lachend bei ihm ein. Gemeinsam gingen sie weiter. Während ich ihnen folgte, spürte ich, wie langsam Unmut gegen beide in mir erwachte. Der Himmel verdunkelte sich zusehends, und es regnete immer stärker. Plötzlich wurde mir bewusst, woher mein Unmut kam. Epiny kleidete sich wie ein kleines Mädchen und benahm sich auch wie eines. Und eben dieses kleine, ungezogene Mädchen spazierte jetzt vor mir her, die Hand auf Spinks Arm, als wäre sie eine junge Frau, wobei sie schamlos Spinks Manieren au s nutzte. Vielleicht war das streng von mir, aber ich b e schloss, sie dazu zu zwingen, sich zu erklären, so oder so. Ich schloss zu ihnen auf und sagte kühl: »Epiny, ein ju n ges Mädchen wie du sollte eigentlich nicht den Arm e i nes Mannes annehmen, den es erst heute kennengelernt hat. Gib mir deine

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