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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Hand.«
    Ich streckte die Hand aus, um ihre Hand von Spinks Arm auf meinen z u legen. Ich sah, wie sie sich sträubte, und dachte, sie würde sich widersetzen. Und dann wurde plötzlich alles ganz merkwürdig. In dem Moment, als ich ihren Arm anfasste, als sich Haut und Haut berührten, begann ich auf einmal alles doppelt zu sehen. In diesem eigentümlichsten Moment, den ich je in meinem Leben erlebt hatte, empfand ich alles um mich herum als fremd. Epiny war nicht meine Base, sondern eine mir in jeder Hinsicht vollkommen unbekannte junge Frau. Ihre Kle i dung, ihre Körperhaltung, ihre Frisur, ihr Geruch, ja s o gar ihr alberner Hut erschienen mir fremdartig und i r gendwie bedrohlich. Ich nahm die vertrauten Gerüche des Gartens im Regen als exotische Düfte wahr, und auch Spink erschien mir plötzlich gefährlich zu sein, als stü n de ich einem Krieger mit mir unbekannten Fähigkeiten und Gebräuchen gegenüber, der mich ohne ersichtlichen Grund plötzlich angreifen konnte. Nichts hatte sich ve r ändert, und dennoch hatte alles, was mich umgab, jede Spur von Vertrautheit verloren. Von einer Sekunde auf die andere war ich zu einem Fremden geworden, der da im kalten Regen stand und fest den Unterarm eines u n bekannten und gefährlichen Rivalen umklammerte.
    Und Epiny? Epiny schaute mich an mit Augen, die groß und immer größer wurden. Sie beugte sich näher zu mir herüber, wie eine Stecknadel, die von einem Magn e ten angezogen wird, und starrte mir gebannt in die A u gen. »Wer bist du?«, stieß sie atemlos hervor, als forderte ihr das Sprechen große Anstrengung ab. Ich fühlte, wie etwas zwischen uns floss, so, als versuche sie, eine An t wort von mir zu erzwingen. Ich ächzte.
    »Nevare! Nevare! Lass sie los! Ihre Hand läuft schon rot an! Was ist denn plötzlich in dich gefahren?«, schrie Spink mich an. Ich erkannte ihn undeutlich. Dann trennte er uns, nicht grob, aber auch nicht sanft. Er schlug meine Hand von Epinys Arm, und wir beide sprangen vonei n ander zurück, als hätten wir mit aller Kraft versucht, uns voneinander loszureißen, und erst seine Berührung hätte das Band durchtrennt. Ich atmete zitternd aus und wandte den Blick von beiden ab, peinlich berührt von dem, was gerade geschehen war.
    »Was war das?«, rief ich und wusste nicht, wen ich da fragte.
    Es war Epiny, die antwortete. »Das war seltsam. Mehr als seltsam.« Sie beugte sich noch näher zu mir herüber und verdrehte den Kopf, um in mein abgewandtes G e sicht schauen zu können. »Wer bist du?«, wiederholte sie ihre Frage, ernst und mit großer Eindringlichkeit, als würde sie mich wirklich nicht wiedererkennen.
    In diesem Moment zuckte ein Blitz über den wolke n verhangenen Himmel. Sein grelles Licht verwandelte unsere Umgebung für den Bruchteil einer Sekunde in eine Welt aus Schwarz und Weiß, und als es wieder du n kel wurde, sah ich noch für einen Moment den Nac h glanz von Epinys weißem Gesicht, das mich anstarrte. Der kanonenschlagartige Donner, der unmittelbar darauf einsetzte, erschütterte mich bis ins Mark. Eine Sekunde lang konnte ich weder hören noch sehen. Und dann öf f nete der Himmel seine Schleusen, und ein kalter Rege n schauer ergoss sich über uns und durchnässte uns in S e kundenschnelle bis auf die Haut, so dass wir alle drei hastig unter das schützende Dach des Hauses flüchteten.

15. Seance
     
    Sobald wir das Haus erreicht hatten, entschuldigte sich Epiny mit der Erklärung, sie müsse sich zum Abendessen umziehen. Spink und ich zogen uns auf unsere Zimmer zurück. Ich hängte meine klamme Jacke auf, reinigte meine Schuhe vom Gartenmatsch und bürstete den Dreck von den Aufschlägen meiner Hose. Als ich fertig war, beschloss ich, in Ermangelung einer anderen Beschäft i gung bis zum Abendessen das Schulzimmer zu erkunden. Ich wanderte in dem Raum herum, in dem mein Vater und mein Onkel ihre Lektionen erhalten hatten, und fra g te mich, wie es gewesen sein musste, in so einem wu n derbaren Haus aufzuwachsen. Ich entdeckte die Initialen meines Vaters, die er in die Kante eines der Tische g e schnitzt hatte. Abgewetzte Bücher teilten sich den Rega l platz mit diversen Modellen von Belagerungsmaschinen und einer ausgestopften Eule. Ein Ständer enthielt Fl o retts und Säbel. Ich saß gerade am Tisch und nahm eine der Belagerungsmaschinen in Augenschein, als Spink hereinkam. Er sah sich im Zimmer um, ging ans Fenster und schaute hinaus auf das Anwesen meines Onkels. Nach kurzem Schweigen fragte er

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