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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Finger.
    »Bist du wohlauf?«, fragte Spink Epiny leise. Sie war sehr blass. Im Schein der Kerzen sah sie hohläugig aus. »Ich bin müde«, sagte sie. »So müde, wie ich es noch nie war. Ratgeberin Porilet, das Medium der Königin, ist oft sehr erschöpft nach einer Seance. Ich hatte gedacht, es liegt daran, dass sie schon so alt ist. Jetzt verstehe ich besser, was sie empfindet.« Sie wandte sich zu mir. »E r innerst du dich noch, was ich an dem Morgen zu dir g e sagt habe, als du zur Akademie aufgebrochen bist? Ich sagte, du scheinst zwei Auren zu haben. Und das stimmt. Aber nur eine gehört dir. Es ist etwas in dir, Nevare. E t was Starkes. Etwas sehr Altes.«
    »Und Böses«, fügte ich hinzu, ganz sicher, dass es so war. Ich strich mir mit der Hand über den Kopf. Meine kahle Stelle brannte wie eine frische Wunde. Hastig zog ich meine Hand wieder zurück.
    Epiny schürzte für einen Moment die Lippen. Ich schaute sie an und dachte, wie albern und unmöglich di e se Unterhaltung noch eine Stunde vorher erschienen w ä re. »Nein. Ich würde es nicht ›böse‹ nennen. Es ist etwas, das leben will, mit allen Mitteln, und das vor nichts Halt machen würde, wenn es darum geht, fortzuleben. Es ha t te Angst vor mir. Es hat sogar Angst vor dir, wohnt aber trotzdem weiter in dir. Sogar jetzt, wo es sich zurückg e zogen hat, weiß ich, dass du immer noch an es gebunden bist. Ich fühle es.«
    »Sag das nicht!« Es war Spink, der das äußerte, aber die Worte hätten ebenso gut von mir kommen können.
    »Wir werden jetzt nicht sofort darüber reden. Aber b e vor ihr geht, müssen wir es noch einmal versuchen, gla u be ich. Ich muss herausfinden, was es ist, das dich b e rührt und vereinnahmt hat. Ich habe noch nie von etwas Derartigem gehört«, sagte Epiny sehr ernst und nahm erneut meine Hand.»Ich glaube, wir sollten es besser in Ruhe lassen«, sagte ich. Ich klang nicht sehr überze u gend, nicht einmal in meinen eigenen Ohren.
    »Wirklich? Nun, wir werden sehen. So, für heute dann gute Nacht, lieber Vetter Nevare. Gute Nacht, Spink.«
    Sie ließ meine Hand los, erhob sich von ihrem Kissen und rauschte von dannen. Ihr Abgang war erstaunlich damenhaft, gemessen an ihrem kindischen Verhalten, das sie den ganzen Tag über gezeigt hatte.
    Ich glaube, mein Mund stand offen, als ich ihr hi n terherstarrte. Ich schaute zu Spink. Er sah aus wie ein Hühnerhundwelpe, der zum e rsten Mal einen Fasanen direkt vor seiner Nase aus dem hohen Gras aufstieben sieht. Gebannt. Verzückt.
    »Gehen wir«, sagte ich leicht gereizt, und mit ein w e nig Verzögerung richtete er seinen Blick auf mich. Wir standen auf, und er folgte mir stumm aus dem Zimmer. Ich versuchte, mit festem Schritt zu gehen. Ich ließ alles, was passiert war, noch einmal vor mir ablaufen. Ich musste eine Erklärung finden, die sich irgendwie in mein Leben einfügte. Ich war geneigt, Epiny für das ganze b i zarre Erlebnis verantwortlich zu machen. Als wir die Treppe hinaufstiegen, sagte Spink leise: »Ich habe noch nie ein Mädchen wie deine Base kennengelernt.«
    »Nun, dann hast wenigstens du etwas, wofür du dan k bar sein kannst«, murmelte ich mürrisch.
    »Nein. Ich meine, nun ja …« Er seufzte plötzlich. »So viele Mädchen kenne ich natürlich nicht. Und ich habe noch nie einen Abend fast allein mit einem verbracht. Über was für Dinge sie alles nachdenkt! Ich hätte nie gedacht, dass ein Mädchen … nun …« Er hielt inne, nach Worten suchend.
    »Du kannst es ruhig laut sagen.« Ich rettete ihn aus seiner Verlegenheit. »Ich habe auch noch nie jemanden wie Epiny kennengelernt.«
    Wir trennten uns und gingen auf unsere Zimmer. Für mich war es in vielerlei Hinsicht ein anstrengender Tag gewesen, und obwohl ich sehr müde war, befürchtete ich, nicht einschlafen zu können. Ich hatte Angst, wieder von Bäumen und Wurzeln zu träumen oder endlos in die Dunkelheit des Raumes zu starren. Aber ich war doch erschöpfter, als ich gedacht hatte. Das weiche Bett und das Federkissen hießen mich willkommen, und ich sank sofort in tiefen Schlummer, kaum dass ich die Augen geschlossen hatte.

16. Ein Ausritt im Park
     
    Ein Diener klopfte vor dem Morgengrauen an meine Tür. Spink und ich besuchten zusammen mit meinem Onkel den frühmorgendlichen Gottesdienst in der Kapelle auf seinem Anwesen. Epiny und Purissa nahmen ebenfalls daran teil, in der Frauennische. Ich schaute nur einmal verstohlen zu ihnen hinüber – und ertappte Epiny mitten in einem

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