Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
gewaltigen Gähnen, das zu verbergen sie sich gar nicht erst bemüht hatte. Mein Onkel suchte die L e sungen für die Männer aus; sie drehten sich um Pflichte r füllung, Heldenmut und Standhaftigkeit. Ich vermutete, dass er dabei an Spink und mich gedacht hatte. Ich betete mit einer Inbrunst, die ich nicht mehr empfunden hatte, seit ich ein kleiner Junge gewesen war, und bat den güt i gen Gott, mir immer beizustehen.
    Da meine Tante immer noch nicht zurückgekehrt war, übernahm Epiny die Lesungen für die Frauen. Sie e r schienen mir sehr kurz, und ich konnte keinen roten F a den in den Texten erkennen, die sie aussuchte. Bei einem ging es darum, dass eine Frau nicht leichtfertig den Reichtum ihres Mannes verschleudern solle. Der nächste handelte davon, dass eine Frau nicht über die lästern so l le, die über ihr stehen. Und der letzte war der schreckl i che Abschnitt aus den »Strafen« über das Schicksal, das ungeratene und liederliche Töchter in ihrem Leben nach dem Tod zu erwarten hatten. Spink bekam vor Schreck fast einen Erstickungsanfall.
    Nach dem Gottesdienst zogen Spink und ich uns mit meinem Onkel und den männlichen Dienstboten zur M e ditation zurück. Der Raum dafür befand sich neben e i nem seiner Treibhäuser und war sehr gefällig. Er war viel gemütlicher als das karge Zimmer, das wir zu Hause am Sechsttag benutzten, und obwohl ich in der Nacht so he r vorragend geschlafen hatte, nickte ich mehrmals fast ein.
    Zu Hause und in der Akademie schlossen sich die »Notwendigen Pflichten«, die die Schrift erlaubte, am Sabbat immer dem Gottesdienst und der Meditation an. Zu meiner – und Spinks – großer Freude erwies sich der Sechsttag im Hause meines Onkels als ein Tag der Muße und der Erholung. Sogar die Dienstboten konnten es e t was ruhiger angehen lassen. Wir nahmen ein schlichtes kaltes Mittagessen ein, bei dem mein Onkel sich bemü h te, das Tischgespräch in ruhigen und frommen Bahnen zu halten. Allein dass Purissa ihn wiederholt fragte, ob die Mimen, die in der Stadt auftraten, sündig und dem güt i gen Gott ein Dorn im Auge seien, beeinträchtigte ein w e nig die friedvolle Grundstimmung. Ich sah, wie Spink und Epiny einander anlächelten, und wusste sogleich, dass sie ihre kleine Schwester angewiesen hatte, ihrem Vater diese Frage zu stellen.
    Nach dem Essen empfahl mein Onkel Spink und mir, uns in die Bibliothek zu verfügen und uns unserem St u dium zu widmen, wenn uns denn der Sinn danach stehe. Mir stand er danach, und ich holte meine Bücher. Spink nutzte die Gelegenheit, um sich von Epiny die Stellen in den Tagebüchern meines Vaters zeigen zu lassen, an d e nen sein Vater Erwähnung fand. Aus Neugier schloss ich mich den beiden für eine Weile an, verlor jedoch rasch den Spaß daran, Spink über die Schulter zu spähen, wä h rend Epiny ihm die betreffenden Passagen heraussuchte. Sie schien ein ausgezeichnetes Gedächtnis zu haben und fand die Einträge schnell. Ich begab mich an meine Schularbeiten und stellte rasch zwei meiner Aufgaben fertig.
    Auch das Abendessen war schlicht, »um unserer Dienstboten willen«, wie mein Onkel erklärte, dabei aber – erneut – bei weitem besser als alles, was wir je an der Akademie zu essen vorgesetzt bekommen hatten. Nur das Fleisch wurde heiß aufgetischt, aber die Obsttorte mit Schlagsahne, die das Mahl abrundete, war so köstlich, dass ich an mich halten musste, um mich nicht zu übe r fressen. »Stell dir nur vor, Gord säße jetzt mit hier am Tisch – wie der reinhauen würde!«, sagte ich grinsend zu Spink, als ich mir das dritte Stück auf den Teller lud.
    »Gord?«, fragte Epiny sofort.
    »Ein Freund von uns an der Akademie. Einer, der gern zu viel isst, wenn er die Gelegenheit dazu hat.« Spink seufzte. »Ich hoffe, es geht ihm wieder besser, wenn wir zurückkommen. Die letzten paar Tage waren ziemlich schwierig für ihn.«
    »Wie das?«, wollte Onkel Sefert wissen.
    Wir taten das Dümmstmögliche. Spink und ich wec h selten Blicke, und dann sagte keiner von uns etwas. Ich versuchte krampfhaft, eine wahrheitsgetreue Lüge zu ersinnen, aber als mir endlich eine einfiel (»Er hat sich in letzter Zeit nicht besonders wohlgefühlt!«), war es i r gendwie zu spät, sie zu äußern. Epinys Augen leuchteten vor plötzlich erwachtem Interesse, als ihr Vater sagte: »Vielleicht unterhalten wir uns über die schwierigen T a ge eures Freundes nach dem Abendessen in meinem A r beitszimmer.«
    Ich glaube, Epiny war genauso überrascht

Weitere Kostenlose Bücher