Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
ich, wie das, was ein gesunder Wettbewerb hätte sein sollen, zu einem u n fairen Kampf auszuarten begann. Eines Nachmittags, als wir in die Ställe rannten, erfüllt von der Gewissheit, dass wir in einer reiterlichen Dressurübung über unsere Riv a len triumphieren würden, mussten wir die Entdeckung machen, dass sich jemand dorthinein geschlichen und die Flanken unserer Tiere mit Pferdemist beschmiert hatte. Zudem waren ihre Schweife voller Kletten. Das hastige Striegeln, für das wir noch Zeit hatten, reichte nicht aus, sodass unsere Pferde einen ziemlich ungepflegten Ei n druck machten. Wir wurden entsprechend herunterg e stuft, und obwohl wir in punkto Präzision die Nase vorn hatten, lagen wir bei der Bewertung des Erscheinungsbi l des hinten, und der Pokal und der halbe freie Tag gingen an den Trupp aus dem alten Adel.
Wir murrten über die Ungerechtigkeit, die uns wide r fahren war. Doch dann wurden mehrere der maßstabg e treuen Modelle, die den Erstjährlern von altem Adel aus Haus Bringham gehörten, unmittelbar vor einer Le i stungsbeurteilung zerstört, sodass der Sieg Haus Carn e ston zufiel. Es wurde vermutet, dass Sabotage dahinter steckte, und ich konnte mich so gar nicht über den Sieg freuen. Meine Hängebrückenkonstruktion war den Arbe i ten der anderen deutlich überlegen gewesen, so dass ich sicher war, dass wir den Sieg auch ohne Sabotage davo n getragen hätten. An jenem Abend fiel es mir sehr schwer, meinen Brief an Onkel Sefert zu schreiben, denn ich war der Überzeugung, dass ich ehrlich sein und den Verdacht, den ich gegenüber meinen eigenen Kameraden hegte, zur Sprache bringen musste.
Ungefähr zu jener Zeit hatte ich eine letzte Begegnung mit Kadettenleutnant Tiber. Die Gerüchte über ihn waren inzwischen verstummt. Ich hatte wenig von ihm gehört und noch weniger gesehen. Deshalb war ich etwas übe r rascht, ihm eines Abends über den Weg zu laufen, als ich von der Bibliothek nach Haus Carneston zurückkehrte. Wir waren beide fest in unsere Mäntel eingemummelt, als wir uns im Halbdunkel einander näherten. Er hinkte sichtlich, wohl eine Folge seiner immer noch nicht ganz verheilten Verletzungen. Er hielt den Kopf gesenkt und den Blick auf den matschigen Pfad vor sich gerichtet. Ich fühlte mich versucht, so zu tun, als würde ich ihn nicht erkennen, und einfach weiterzugehen. Doch stattdessen trat ich, wie es sich gehörte, zur Seite und salutierte. Er erwiderte meinen Gruß im Vorbeigehen und hinkte we i ter. Einen Augenblick später machte er auf dem Absatz kehrt und kam zurück. »Kadett Burvelle, nicht wahr?«
»Ja, Sir. So heiße ich.«
Dann schwieg er einen Moment. Ich lauschte dem Wind und spürte, wie Angst in mir hochstieg. Schließlich sagte er: »Danke, dass Sie ausgesagt haben und die N a men genannt haben. Ich wusste nicht, wer mich überfa l len hatte. Als Ordo behauptete, er habe mich betrunken aus der Kutsche torkeln sehen, habe ich mir natürlich mein Teil gedacht. Aber erst, als Sie Jaris’ Namen nan n ten, war ich mir ganz sicher.«
»Ich hätte mich eher melden sollen, Sir.«
Er beugte sich ein Stück vor. »Und warum haben Sie das nicht getan, Nevare Burvelle? Das wollte ich Sie schon die ganze Zeit fragen.«
»Ich war nicht sicher … ob es ehrenhaft war. Einen schweren Verdacht zu äußern, ohne irgendwelche Bewe i se zu haben. Und …« Hastig stieß ich die Wahrheit he r vor. »Ich hatte Angst, dass sie sich an mir rächen wü r den.«
Er nickte. Meine Worte schienen ihn nicht zu überr a schen. Nichts in seinem Gesicht verriet, dass er mich verurteilte. »Und haben sie das getan?«
»Mit Kleinigkeiten. Nichts, was ich nicht aushalten könnte.«
Er nickte erneut und schaute mich an, ein schmales, kaltes Lächeln im Gesicht. »Danke, dass Sie Ihre Angst überwunden und sich gemeldet haben. Reden Sie sich nicht ein, Sie seien ein Feigling. Sie hätten den Vorfall Ihrem Onkel gegenüber ja auch ebenso gut gar nicht zu erwähnen brauchen oder, als es soweit war, lügen können und behaupten, Sie hätten nichts gesehen. Ich wünschte, ich könnte Ihnen sagen, dass Sie dafür belohnt werden. Sie werden es nicht. Und wohlgemerkt, Sie taten gut da r an, sich vor denen in Acht zu nehmen. Unterschätzen Sie sie nicht. Ich habe sie unterschätzt. Und jetzt hinke ich. Vergessen Sie nicht, was wir gelernt haben.«
Er sprach mit mir, als wäre ich sein Freund. Seine Worte machten mir Mut. »Ich hoffe doch, Sie erholen sich gut und Ihr Studium macht
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