Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
Flachland gewesen war. Der Qualm aus Tausenden von Öfen erfüllte die Winterluft. Und wenn wirklich einmal Schnee fiel, dann war er bald schwarzgesprenkelt vom Ruß. Das Schmelzwasser kon n te die Abflüsse nicht schnell genug finden; die Rasenfl ä chen der Akademie hatten sich in schlammigen Morast verwandelt, und die Wege wurden zu schwappenden K a nälen, durch die wir beim Marschieren hindurchplatsc h ten. Der Winter schien einen Krieg gegen die Stadt zu führen: Erst deckte er uns mit frischem Schnee und eis i gem Frost zu, und dieser wich am nächsten Tag feuchten Nebelschwaden und sulzigem Schneematsch. Der Schnee, der auf die Gehwege und Straßen der Akademie fiel, wurde schnell zu einem schmutzigen Sorbet aus Eis und Matsch zertrampelt. Die Bäume standen kahl auf den Wiesen und reckten ihre nassen schwarzen Äste empor, als wollten sie den Himmel um Licht anflehen. Wir sta n den auf, bevor es hell wurde, schlitterten durch den Matsch zum Speisesaal und stapften dann auf schma t zenden Sohlen durch unsere Klassen. Wir konnten unsere Stiefel so stark einfetten, wie wir wollten, wir hatten i m mer nasse Füße, und zwischen den Stubeninspektionen schmückten feuchte Socken u nsere Zimmer wie Lamp i ons ein Gartenfest. Husten und Schnupfen wurden zu einem ständigen Begleiter, sodass ich regelrecht glüc k lich war, wenn ich einmal mit klarem Kopf aufwachte. Kaum hatte unser Trupp die eine Erkältungswelle hal b wegs überstanden, kam auch schon die nächste angerollt und legte uns flach. Es musste einem schon äußerst schlecht gehen, bevor man entweder dem Unterricht fernbleiben oder sich ins Krankenrevier verlegen lassen durfte, sodass die meisten von uns sich nach besten Krä f ten irgendwie durch die Tage der Krankheit schleppten.
Doch wären all diese Unannehmlichkeiten irgendwie zu ertragen gewesen, trafen sie uns doch alle gleicherm a ßen – Erstjährler, Oberklässler, Offiziere und sogar uns e re Ausbilder –, wenn nicht unsere Mit-Erstklässler aus dem neuen Adel und wir, kurz nachdem Spink und ich von unserem Aufenthalt bei meinem Onkel zurückg e kehrt waren, Zielscheibe einer neuen Art von Schikane geworden.
Es hatte immer Unterschiede darin gegeben, wie die Erstjährler aus dem neuen Adel im Vergleich zu den Söhnen aus den älteren Familien behandelt wurden. Wir hatten es mit Humor getragen, dass wir die miesesten Unterkünfte bekamen, hatten es zähneknirschend hing e nommen, dass der Unteroffizier Dent uns immer später essen ließ als unsere Kameraden, und hatten den Kopf vor der Tatsache eingezogen, dass die Initiation, die wir erhielten, weit gröber ausfiel als die, die den Erstjährlern aus dem alten Adel zugemutet wurde. Unsere Ausbilder hatten sich größtenteils aus alldem fein herausgehalten. Gelegentlich hielten sie uns vor, die Würde der Akad e mie nicht in ausreichendem Maße zu wahren, und wir sollten uns gefälligst darum bemühen, dies wenigstens zu versuchen, auch wenn wir als Neulinge mit ihren Trad i tionen nicht vertraut seien. Wir nahmen das mit grimm i ger Belustigung auf, denn kein Sohn irgendeines alten Edelmanns konnte behaupten, dass sein Vater jemals i r gendeine Art von Militärakademie besucht hatte, wohi n gegen viele von unseren Vätern am alten Kriegskolleg studiert hatten. Die Traditionen einer militärischen E r ziehung waren tief in uns verwurzelt, während unsere Mitschüler aus dem alten Adel sie erst jetzt lernten.
Unsere Klassen waren für das erste Jahresdrittel pei n lich genau getrennt worden. Wir saßen immer bei unserer jeweiligen Gruppe oder Patrouille. Die Söhne neuer Edelleute fraternisierten nicht mit den Söhnen alter Ede l leute, auch wenn sie manchmal dasselbe Klassenzimmer m iteinander teilten. Jetzt begannen unsere Ausbilder nicht etwa damit, uns zusammenzubringen, sondern sie ließen uns gegeneinander antreten. Immer häufiger wu r den die Ergebnisse unserer Klassenarbeiten nach Gru p pen aufgelistet und draußen an der Tür der Klassenzi m mer nebeneinander ausgehängt, damit alle sehen konnten, dass die Gruppen aus dem neuen Adel in den geisteswi s senschaftlichen und theoretischen Disziplinen durchg e hend hinter den Erstklässlern aus dem alten Adel hinte r herhinkten. Die Ausnahmen waren Zeichnen und Ingen i eurwesen und Gerätebau, wo wir sie oft übertrafen, sowie Exerzieren und Dressur, wo sie uns nicht das Wasser re i chen konnten.
Als unsere Ausbilder die Rivalität zwischen den be i den Gruppen anzuheizen begannen, sah
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