Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
Fortschritte?«
Sein Lächeln wurde noch schmallippiger. »Ich habe mich so weit erholt, wie es meine Verletzungen zugela s sen haben. Und mein Studium habe ich abgeschlossen, Kadett Burvelle. Ich habe meine erste Abkommandi e rung erhalten. Ich gehe nach Gettys. Als Kundschafter.«
Das war eine schlimme Gegend und ein noch schli m merer Posten. Wir standen uns in der Kälte gegenüber. Ihm zu gratulieren wäre zynisch gewesen. »Sie werden bestraft, nicht wahr?«, fragte ich schließlich.
»Ja und nein. Sie brauchen mich dort. Der Bau der Straße des Königs ist dort praktisch zum Stillstand g e kommen, und ich soll in die Wälder gehen und mich u n ter die Fleck mischen und versuchen, den Grund dafür herauszufinden. Anscheinend bin ich gut für diese Au f gabe geeignet. Gut in Sprachen und ein guter Pionier. Ich sollte in der Lage sein, die beste Trasse für die Straße auszukundschaften und Freundschaft mit den Wilden zu schließen. Vielleicht werde ich herausfinden, warum wir mit der Straße nicht vorankommen. So hat jeder etwas davon: Ich bekomme Arbeit, die mir gefällt und in der ich gut bin. Die Verwaltung hat mich vom Hals und weiß mich in einer Position, in der ich niemals nennenswerte Aufstiegschancen haben werde.«
Ich ertappte mich dabei, dass ich bei seinen Worten nickte. Sie klangen plausibel. Nach kurzem Zögern sagte ich: »Vor einiger Zeit sagte Hauptmann Maw zu mir, ich hätte das Zeug zu einem guten Kundschafter.«
»Sagte er das? Dann können Sie das als ein Kompl i ment auffassen und davon ausgehen, dass Sie auch einer werden. Mir hat er das Gleiche gesagt, als ich im ersten Studienjahr war.«
»Aber ich will kein Kundschafter werden!« Die Worte barsten regelrecht aus mir heraus. Allein die Vorstellung erfüllte mich mit Entsetzen.
»Ich bezweifle, dass irgendjemand das will, Nevare. Wenn die Zeit kommt, versuchen Sie anzuerkennen, dass Maw es gut mit Ihnen meint, wenn er sich auf diese We i se für Sie zu verwenden versucht. Ihm ist l ieber, wenn vielversprechende, begabte Kadetten etwas wirklich Sinnvolles machen, als dass sie ausgesondert werden oder zu irgendwelchen sinnlosen Posten abkommandiert werden, wo sie Decken zählen oder Hammelfleisch für die Truppen einkaufen. Es ist seine Art, Ihnen zu sagen, dass Sie etwas wert sind, dass Sie zu etwas nutze sind, auch wenn Sie der Sohn eines Kriegsherrn sind.«
Das Schweigen, das seinen Worten folgte, hing zw i schen uns. Er brach es schließlich, indem er sagte: »Wünschen Sie mir Glück, Burvelle.«
»Viel Glück, Leutnant Tiber.«
»Kundschafter Tiber, Burvelle. Kundschafter Tiber. Ich sollte mich besser daran gewöhnen.« Er salutierte, und ich erwiderte seinen Gruß. Dann hinkte er davon in die Dunkelheit und Kälte. Ich stand noch einen Moment zitternd da und fragte mich, ob ich dazu verdammt war, seinen Fußstapfen zu folgen.
18. Anschuldigungen
Es ging immer tiefer in den Winter hinein, und der Du n kelabend nahte. In meinem Vaterhaus in Breittal war der Dunkelabend ein Abend des Gebets und der Meditation gewesen, ein Abend, an dem schwimmende Kerzen auf dem Teich oder dem Fluss ausgesetzt wurden, und an den sich am nächsten Morgen eine Feier anschloss, mit der das Längerwerden der Tage begrüßt wurde. Meine Mu t ter hatte jeden von uns immer mit einem kleinen, aber nützlichen Geschenk zur Feier der Jahreswende bedacht, und mein Vater hatte dieses Geschenk mit einem gelben Briefumschlag mit Taschengeld aufgestockt. Der Du n kelabend war immer ein eher unbedeutender, aber wil l kommener Festtag für mich gewesen.
Umso erstaunter war ich, als ich hörte, dass meine Kommilitonen dem Dunkelabend mit großer Begeist e rung und Vorfreude entgegenfieberten. Die Akademie selbst würde uns am Abend einen Festschmaus bieten, an den sich zwei freie Tage für alle Kadetten von hohem Ansehen anschließen würden. Es fanden Aufführungen in den Schauspielhäusern statt, und der König und die Königin veranstalteten einen großen Ball in Haus So n dringham in Alt-Thares, zu dem die Seniorkadetten ei n geladen waren. Für die jüngeren Kadetten gab es Karn e val und Straßenkünstler und Tanzveranstaltungen in den Zunfthäusern. Wir wurden in aller Strenge darauf hing e wiesen, dass wir solchen Veranstaltungen nur in Uniform beiwohnen durften und uns dementsprechend tadellos zu benehmen hatten, nicht nur um unseres eigenen Rufes willen, sondern auch als Repräsentanten der Akademie. Ich freute mich sehr darauf. Etwas
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