Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
»Entzug« wäre zutreffender gewesen. Meine zähe Kie k scha folgte seinem Dedem tapfer und unverdrossen, aber ich wusste, dass auch sie nach Wasser lechzte. Ich hatte jeden Kniff angewandt, den ich kannte, um mir meinen Durst erträglich zu machen. Der glatte Kiesel in meinem Mund war indes mehr und mehr zu einem Ärgernis g e worden statt zu einer Hilfe. Ich hatte ihn aufgehoben, als ich abgesessen war, um die fleischigen Blätter von einer Maultierohrenpflanze zu rupfen. Ich kaute die dicken Blätter, bis ich nur noch Fasern im Mund hatte, und spuckte sie dann aus. Sie taten nicht viel mehr, als me i nen Mund ein wenig anzufeuchten. Meine Lippen und meine Nasenlöcher waren trocken und spröde. Meine Zunge fühlte sich an wie ein Stück Leder. Dewara ritt weiter, ohne mit mir zu sprechen und ohne irgendein A n zeichen von Durst erkennen zu lassen. Auch der Hunger plagte mich jetzt wieder, aber der Durst blieb der schlimmere Quälgeist. Aufmerksam hielt ich nach A n zeichen für Wasser Ausschau, wie Sergeant Duril es mich gelehrt hatte: eine Baumreihe, eine Senke, in der das Buschwerk dichter und grüner war als gewöhnlich, oder aufeinander zulaufende Tierfährten. Aber ich sah nur, dass das Land immer öder und steiniger wurde.
Mir blieb nichts anderes übrig, als Dewara weiter zu folgen und darauf zu vertrauen, dass er mit diesem Ritt irgendeinen Zweck verfolgte. Als die Schatten wieder länger wurden und immer noch kein Wasser in Sicht war, fasste ich mir ein Herz und ergriff das Wort. Meine Li p pen sprangen auf, als ich meine Worte formte. »Werden wir bald Wasser finden?«
Er schaute mich an und ließ dann den Blick demo n strativ im Kreise schweifen. »Es sieht nicht so aus.« Er lächelte mich an. Der Wasserentzug schien ihm nichts anhaben zu können. Wortlos ritten wir weiter. Ich spürte, wie der kleinen Stute die Kräfte schwanden, aber ihr Wi l le weiterzulaufen schien ungebrochen. Der Abend hatte bereits begonnen, sich über das Land zu senken, als D e wara sein Reittier zügelte und sich umschaute. »Wir werden hier schlafen«, verkündete er.
Die Stelle war noch schlimmer als die vorherige. Es gab nicht einmal einen Felsen, an dem man sich hätte wärmen oder gegen den man sich hätte lehnen können, und nur trockenes Gesträuch für die Pferde, nicht das geringste Gras.
»Sie sind verrückt!«, krächzte ich, bevor mir siedend heiß einfiel, dass i ch diesem Mann Respekt zu zollen hatte. Es war schwer, in dieser Situation an irgendetwas anderes zu denken als an meinen schrecklichen Durst.
Er war bereits von seinem Pferd gestiegen. Er schaute zu mir hoch, mitleidslos. »Du sollst mir gehorchen, So l datenjunge. Dein Vater will e s so.«
Es blieb mir nichts anderes übrig, als zu tun, was er sagte. Also stieg ich von meiner rundlichen kleinen Stute und schaute mich um. Es war nichts zu sehen. Falls dies eine Art Prüfung sein sollte, dann fürchtete ich, dass ich durchfallen würde. Wie schon am Abend zuvor ließ sich Dewara mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem trockenen Boden nieder. Er schien vollkommen zufri e den damit zu sein, dort zu sitzen und zuzuschauen, wie der Abend zur Nacht wurde.
Der Kopf tat mir weh, und mein Magen krampfte sich vor Hunger zusammen. Nun, die Schmerzen würden schon weggehen, sagte ich mir. Ich beschloss, mir ein etwas bequemeres Nachtlager als in der Nacht zuvor zu machen. Ich suchte mir eine Stelle, die eher sandig au s sah als steinig und die in gebührendem Abstand zu D e waras Schlafplatz war. Ich hatte nicht vergessen, wie er sich am Morgen an mich herangepirscht hatte. Dann grub ich mit den Händen eine Mulde von der Größe meines Körpers in den Sand. Wenn ich mich nur tief genug hi n einschmiegte, konnte ich meine Körperwärme über die Kühle der Nacht hinwegretten. Ich war gerade dabei, die größeren Steinbrocken aus der Mulde aufzulesen, als Dewara aufstand und sich streckte. Er kam herüber zu meinem Loch und schaute verächtlich darauf. »Willst du deine Eier jetzt schon legen? Das ist ein schönes Nest für eine kluge Henne.«
Da ich zum Antworten meine aufgesprungenen Lippen hätte bewegen müssen, zog ich es vor, sein Gestichel u n kommentiert zu lassen. Ich konnte nicht verstehen, wie es möglich war, dass der Hunger und der Durst mir so sehr zusetzten, ihn aber scheinbar völlig unberührt ließen. Als habe er meine Gedanken gelesen, sagte er leise: »Weic h ling.« Er wandte sich um, ging zurück zu seiner Schla f stelle und
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