Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
wurde es zunehmend schwerer, Dewara und sein Pferd im Auge zu behalten. Senken, Mulden und Hügelkuppen bedeckten das Land wie ein verzogenes Laken. Ich vermutete, dass er absichtlich versuchte, mich abzuhängen, und biss auf die Zähne, fest entschlossen, das nicht zuzulassen. Ein falscher Schritt wurde genügen, und wir würden uns be i de den Hals brechen. Dennoch zügelte ich Kiekscha nicht, und obwohl ihre Flanken sich vor Anstrengung hoben und senkten, wurde sie von sich aus nicht langs a mer. Sie folgte dem Hengst. So ließen wir Meile um Me i le hinter uns.
Das Terrain stieg fast unmerklich an, und schließlich gewannen wir das Hochplateau. Die Niederungen wichen hohen Felsnasen, die sich rot oder weiß in der Ferne a b zeichneten. Vereinzelte Bäume, verkrüppelt und krumm von dem ständigen Wind und dem launischen Regen, ließen längst ausgetrocknete Wasserläufe erahnen. Wir kamen an einem schroff aufragenden Horst bröckelnden Steines vorbei, der in seiner zerklüfteten Schrundigkeit an verfaulte Zahnstummel im Kiefer eines Totenschädels oder an die verfallenen Türme der Windsburg erinnerten. Unglücksbringer nannte sie mein Vater. Er hatte mir e r zählt, dass einige d er Flachländer sagten, das seien die Kamine für die Unterwelt ihrer Religionen. Dewara ritt unbeirrt weiter. Meine Kehle war ausgedörrt vor Durst, und ich war von einer dicken Staubschicht bedeckt, als wir e ndlich die Kuppe einer kleinen Anhöhe erreichten und ich sah, dass Dewara und sein Taldi auf uns wart e ten. Der Flachländer stand neben seinem Reittier. Ich ritt zu ihm und zügelte Kiekscha, dankbar, endlich von ihrem schweißnassen Rücken gleiten zu können. Die Stute b e wegte sich drei Schritte von mir weg und sank dann auf die Vorderläufe. Entsetzt dachte ich, ich hätte das Tier zu Schanden geritten, aber sie rollte sich lediglich auf den Rücken und wälzte sich voller Wohlbehagen in dem ku r zen, stachligen Gras, das in der Mulde hinter der Kuppe wuchs. Sehnsuchtsvoll dachte ich an meinen Wasse r schlauch, der noch an Sirloftys Sattel hing. Es war zwecklos, ihn sich jetzt herbeizuwünschen.
Falls Dewara überrascht war, dass ich ihn eingeholt hatte, so ließ er es sich nicht anmerken. Er sagte gar nichts, bis ich schließlich das Schweigen brach und ihn vorsichtig fragte: »Was machen wir jetzt?«
»Wir sind hier«, war alles, was er darauf erwiderte.
Ich ließ meinen Blick schweifen und sah nichts, was »hier« zu einem Ort gemacht hätte, der irgendwelche erkennbaren Vorzüge gegenüber jeder beliebigen and e ren Mulde in den Flachlanden aufgewiesen hätte. »Soll ich die Pferde versorgen?«, fragte ich. Wenn ich Sirlofty geritten hätte, hätte mich mein Vater als Erstes dazu a n gehalten, dass ich mich um ihn kümmere. »Ein Kavall e rist ohne sein Pferd ist nicht mehr als ein unerfahrener Fußsoldat«, hatte er mir oft genug gesagt. Aber Dewara leckte sich bloß die Lippen und spie beiläufig neben sich auf den Boden. Mir war klar, dass er mich beleidigt hatte, aber ich sagte nichts.
»Taldis waren Taldis, lange bevor Menschen auf ihnen ritten«, sagte er verächtlich. »Sie kommen allein z u recht.« Seine Miene brachte zum Ausdruck, dass er mich für einen Schwächling hielt, weil ich mir Sorgen um die Tiere gemacht hatte.
Aber die Kidona-Reittiere schienen tatsächlich sehr wohl in der Lage, selber für sich zu sorgen. Nachdem Kiekscha sich ausgiebig den Rücken gekratzt hatte, stand sie auf und trottete zu Dedem, um gemeinsam mit ihm an dem grobfasrigen Gras zu knabbern. Keinem von beiden schien der lange Galopp etwas ausgemacht zu haben. Hätte ich Sirlofty dermaßen gehetzt, dann hätte ich ihn erst einmal im Schritt gehen lassen, um i hm die Chance zu geben, zu verschnaufen und sich abzukühlen, und i hn dann sorgfältig trockengerieben, bevor ich ihm in A b ständen kleine Mengen Wasser zu trinken gegeben hätte. Die Kidona-Taldis schienen indes zufrieden mit ihrem groben Futter und dem Sand, den sie sich in ihr nasses Fell gerieben hatten. »Die Tiere haben kein Wasser. Und ich auch nicht«, sagte ich nach einem Moment des Schweigens zu Dewara.
»Sie werden davon nicht sterben. Nicht heute.« Er maß mich mit einem abschätzenden Blick. »Und du auch nicht, Soldatenjunge.« Kalt fügte er hinzu: »Sprich nicht. Du brauchst nicht zu sprechen. Du bist hier, um mir z u zuhören.«
Darauf wollte ich etwas erwidern, aber eine schroffe Geste von ihm brachte mich zum Schweigen. Einen A u genblick
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