Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
Belag auf der Wasseroberfläche mit beiden Händen zur Seite, bevor er den Kopf hineintunkte und trank. Ich hoffte inbrünstig, er würde einen Blutfrosch verschlu c ken.
Nachdem er seinen Durst gestillt hatte, kehrte er z u rück auf trockeneren Grund und ließ sich zur Nacht ni e der, die jetzt begann, sich über das Flachland zu legen. Innerlich kochte ich vor Wut. Seine kühl zur Schau g e stellte Sorglosigkeit, seine selbstverständliche Annahme, dass ich keine Gefahr für ihn darstellte, sein spöttischer Umgang mit der Ungeheuerlichkeit, dass er mich mis s handelt und verstümmelt hatte – das alles ärgerte mich maßlos. Fast wollte mir die Demütigung den Verstand rauben. »Warum bist du mir gefolgt?«, platzte es schlie ß lich aus mir heraus, und es war mir zuwider, dass ich mich dabei anhörte wie ein Kind.
Er machte nicht einmal die Augen auf, als er mir an t wortete: »Du hattest mein Taldi. Und ich habe es dir doch gesagt – Kidona halten ihr Wort. Ich muss dich s i cher ins Haus deiner Mutter zurückbringen.«
»Ich brauche deine Hilfe nicht!«, zischte ich zurück.
Er öffnete die Augen, stützte sich auf die Ellenbogen, und sah mich an. »Auch nicht meine Kiekscha, auf der du reitest? Auch nicht das Fleisch, das du gerade gege s sen hast?« Er lehnte sich zurück, kratzte sich die Brust und machte die leisen Geräusche eines Mannes, der sich zur Nacht bettet. »Morgen kannst du ja deinen Stolz e s sen. Du hast eine Menge davon. Sehr sättigend. Morgen fangen wir damit an, einen Kidona aus dir zu machen.«
»Einen Kidona aus mir zu machen? Ich will kein K i dona werden!«
Er lachte. »Aber natürlich willst du das. Jeder Mann will wie der Mann werden, der ihn bezwungen hat. Jeder Jüngling, in dessen Brust das Herz eines Kriegers schlägt, möchte in der Tiefe seiner Seele ein Kidona werden. Selbst die, die nicht wissen, was ein Kidona ist, sehnen sich danach, so zu sein. Auch du willst ein Kid o na werden. Ich werde diesen Traum in dir wachrufen. Ich glaube, das ist das, was dein Vater von mir wollte, auch wenn er sich nicht getraut hat, es zu sagen.«
»Mein Vater möchte, dass ich ein Offizier und Gentleman in der Kavalla seiner Majestät werde, den alten ritterlichen Traditionen folge und dem Namen me i ner Familie Ehre mache, so, wie es die Männer aus me i ner Familie seit jeher getan haben, seit wir für die Könige von Gernien kämpfen. Ich bin ein Soldatensohn aus dem Geschlecht der Burvelles. Ich strebe lediglich danach, meine Pflicht gegenüber meinem König und meiner F a milie zu erfüllen.«
»Morgen werden wir einen Kidona aus dir machen.«
»Ich werde niemals ein Kidona werden! Ich weiß, wer und was ich bin!«
»Ich auch, Soldatensohn. Schlaf jetzt!« Er räusperte sich und hustete einmal. Dann verfiel er in Schweigen. Sein Atem wurde tiefer und gleichmäßig. Er war eing e schlafen.
Voller Wut ging ich zu ihm und stand eine Weile über ihm. Er öffnete ein Auge, schaute kurz zu mir herauf, gähnte ausgiebig und schlief wieder ein. Er hatte nicht einmal Angst, dass ich ihn im Schlaf töten würde. Er setzte meine eigene Ehre als Waffe gegen mich ein. Das schmerzte wie eine Kränkung, auch wenn ich mich ni e mals zu einer derart schändlichen Tat hätte hinreißen la s sen. Ich stand über ihm und hoffte inbrünstig darauf, dass er irgendeine Drohgebärde machte, die mir einen Grund geliefert hätte, mich auf ihn zu stürzen und ihn zu erwü r gen.
Einen Schlafenden anzugreifen, der eben noch darauf verzichtet hatte, mich zu töten, während ich hilflos zu seinen Füßen lag, war über alle Maßen niederträchtig und ehrlos. Mochte ich mich noch so gedemütigt fühlen, ich würde so etwas nicht tun, und ich konnte es auch nicht. Also ging ich wieder von ihm weg.
Ein gutes Stück entfernt von ihm schlug ich mein L a ger auf und legte mich in mein Nest aus trockenem Gras. Mir war immer noch übel. Ich hatte geglaubt, dass mein Hass und mein Zorn mich wachhalten würden, aber ich schlief überraschend schnell ein. Bei einem Fünfzehnjä h rigen fordert der Körper mit Macht sein Recht auf Schlaf, ganz gleich, wie weh ihm ums Herz sein mag. Meinen Plan, in der Dunkelheit loszureiten und mir von den Ste r nen den Weg weisen zu lassen, hatte ich völlig verge s sen. Erst Jahre später sollte ich begreifen, wie geschickt Dewara mich wieder unter seine Kontrolle gebracht ha t te. Ich sollte es begreifen und erkennen, was da mit mir geschehen war, aber wirklich verstehen würde
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