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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Erbauliches in meinem Leben gibt.«
    »Ach, ich glaube nicht, dass du so ein hartes und en t behrungsreiches Leben führst, kleine Schwester.«
    »Nein. Ich habe eigentlich überhaupt kein Leben«, e r widerte sie, und es klang fast bitter. Als ich sie daraufhin verdutzt ansah, schüttelte sie den Kopf. Einen Moment später fragte sie: »Dann hast du noch nie einen verrüc k ten Traum gehabt, Nevare? Einen, aus dem du mit wild klopfendem Herzen aufgewacht bist? Wo du dich gefragt hast, was realer war – die Traumwelt oder unsere hier?«
    »Nein«, sagte ich, und nach kurzem Zögern fügte ich hinzu: »Nun ja, einmal vielleicht.«
    Sie richtete ihre grauen Katzenaugen auf mich. »Wir k lich? Was hast d u geträumt, Nevare?« Verschwörerisch beugte sie sich zu mir herüber, als wären solche Dinge ungeheuer wichtig.
    »Tja.« Während ich überlegte, wo ich anfangen sollte, spürte ich plötzlich etwas Seltsames. Die Narbe auf me i nem Kopf begann zu brennen, und von der Stelle aus schoss mir ein heißer Schmerz durch die Wirbelsäule, wie schon einmal. Ich schloss die Augen und wandte mich hastig von Yaril ab. Unvermittelt fühlte ich mich schwach und elend. Die Realität des Schmerzes führte mir meinen Traum wieder in allen Einzelheiten vor A u gen. Der Geruch der Baumfrau war wieder in meiner N a se, und meine Hände umklammerten erneut die messe r scharfe Klinge. Ich holte zitternd Luft und versuchte zu sprechen. Es dauerte eine Weile, bis ich überhaupt etwas herausbekam. »Es war ein entsetzlicher Traum, Yaril. Ich glaube, ich möchte lieber nicht darüber sprechen.« Die Schmerzen hörten so plötzlich auf, wie sie eingesetzt ha t ten. Trotzdem brauchte ich noch einen Moment, um zu Atem zu kommen und meine Hände zu öffnen, die sich zu Fäusten geballt hatten. Ich wandte mich wieder Yaril zu. Sie sah mich bestürzt an.
    »Was kannst du so Schlimmes geträumt haben, dass es einem Mann Furcht einzujagen vermag?«, fragte sie.
    Ihre kindliche Naivität, die sie in mir, der ich doch nur wenige Jahre älter war als sie, einen erwachsenen Mann sehen ließ, verschloss mir wirksamer den Mund, als es zuvor der jähe Schmerz getan hatte. Den Schmerz hielt ich für eine Art Halluzination, für ein schreckliches Wi e dererleben des Traumes, der mir so sehr zugesetzt hatte. So schwer mich dieses kurze Erlebnis auch erschüttert haben mochte, meine Schwester betrachtete mich als Mann, und ich wollte nichts tun oder sagen, was ihre h o he Meinung von mir hätte schmälern können. Deshalb schüttelte ich nur den Kopf und sagte: »Es wäre ohnehin kein Thema, das man im Beisein von Damen erörtern sollte.«
    Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung, dass ihr Bruder Träume haben konnte, die nicht dazu geeignet waren, einer Dame zu Gehör gebracht zu werden, aber ich las in ihren Augen auch ihre Freude darüber, dass ich sie eine Dame genannt und nicht als Kind bezeichnet ha t te. Sie lehnte sich zurück und sagte: »Nun, wenn das so ist, Nevare, dann will ich dich auch nicht weiter drä n gen.«
    So unschuldig und unverdorben waren wir beide d a mals.
    Tage häuften sich auf Tage und wurden zu Monaten, wie totes Laub s ich übereinanderschichtet und schließlich zu Lehm wird. Ich schob mein Traumerlebnis beiseite und vergaß es, so gut ich konnte. Meine Verbrennungen heilten, das genähte Ohr verheilte etwas langsamer, und die Kerben wurden zu Narben, mit denen ich zu leben lernte. Oben auf dem Kopf behielt ich eine kleine kahle Stelle zurück – Narbengewebe, wo einst gesunde Kop f haut gewesen war. Ich fuhr fort mit meinem Leben und meinem Unterricht und meiner Ausbildung. In mir trug ich, klein und scharfkantig, das Wissen, dass mein Vater ungeachtet seiner ermutigenden Worte an mir zweifelte. Sein Zweifel wurde zu meinem eigenen, zu einem Ko n kurrenten, den ich nie ganz besiegen konnte.
    Nur noch ein weiteres Zugeständnis machte ich an j e nes Erlebnis. Im Spätherbst sagte ich meinem Vater, dass ich allein auf die Jagd gehen wollte, um mein Können auf die Probe zu stellen. Er fand die Idee töricht, aber ich bestand hartnäckig darauf, und schließlich gewährte er mir sechs Tage, die ich allein sein durfte. Ich sagte ihm, ich würde an den Steilufern entlang dem Fluss jagen, und ich wandte mich auch tatsächlich zunächst in diese Ric h tung. Als Erstes suchte ich die Stelle auf, wo Dewara und seine Frauen ihr Lager aufgeschlagen hatten, als ich i h nen das erste Mal begegnet war. Die Asche und die Ste i ne

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