Never forget - das Mädchen, das sich nicht erinnern durfte
flüstert eine Stimme in meinem Kopf. Ich bin der dreizehnjährige Nate, der mit seinem besten Freund Ty zur Schule geht.
Also gut.
Ich ziehe meine bandagierte Hand aus der Tasche und wir lassen beide gleichzeitig unsere Skateboards fallen. Zwei Sekunden später stehe ich mit beiden Füßen auf dem Board und klappere über den Gehweg. Ty ist ein paar Meter vor mir.
Ich folge seinem Beispiel und lasse Knie und Hüften locker. Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. Ich verlagere mein Gewicht – das Board neigt sich ein wenig nach links und ich fahre nach links. Das ist einfach! Und es geht bergab, deshalb kann ich einfach so weiterfahren. Ich muss gar nicht anschieben.
Wir sind gerade dabei, noch mehr Tempo zu gewinnen, als mir etwas einfällt – weiß ich überhaupt, wie man wieder anhält?
21
TAG 2, 8:43 UHR
E in paar Sekunden später biegt Ty um eine Ecke.
Ich versuche, ihm zu folgen, aber mein Skateboard hat zu viel Fahrt. Ich lasse meinen hinteren Fuß über den Boden schleifen, um die Geschwindigkeit zu senken, aber ich bleibe mit meinem Schuh irgendwo hängen. Plötzlich segelt mein Board auf die Straße hinaus. Ich mache drei unkontrollierte Schritte, bevor ich vorwärtsstürze und auf Händen und Knien schlitternd aufkomme. Beim Klappern meines Skateboards springt Ty von seinem eigenen Board und kommt zu mir zurückgelaufen.
»Alles okay?« Er hilft mir auf die Füße, dann dreht er meine Hände um, um sie zu untersuchen.
»Ich denke schon.« Meine Handflächen sind aufgeschürft, aber meine armen, nagellosen Finger haben nichts abgekriegt.
Ty macht ein paar Schritte auf die leere Straße, schnappt sich mein Skateboard und kommt zurück. »Eine Zeit lang hast du das echt gut hingekriegt.«
»Glaubst du, ich bin in meinem alten Leben Skateboard gefahren?«
»Vielleicht. Oder du bist Snowboarderin, wie du angenommen hast, oder einfach nur von Natur aus sportlich.« Er mustert mich eingehend. »Hat dir auf dem Skateboard zu stehen irgendwie geholfen, dich an etwas zu erinnern?«
»Wenn, dann war es eher eine Körpererinnerung. Über mich selbst weiß ich jetzt auch nicht mehr.«
Wir sind jetzt mindestens zehn Blocks von Tys Apartmentkomplex entfernt, aber ich schaue mich unwillkürlich um. »Glaubst du, wir sollten runter von der Straße? Vielleicht fallen wir hier zu sehr auf.« Die Gegend besteht aus einer Mischung aus kleinen Geschäften und noch kleineren, alten Häusern, dazwischen weitere Wohnblocks.
»Ein paar Blocks weiter gibt es ein kleines Café. Lass uns dorthin gehen und überlegen, was wir als Nächstes unternehmen.«
»Okay.« Ich bin dankbar, dass Ty losläuft, ohne sein Board zu benutzen.
Ein paar Minuten später schiebt er die Tür eines Cafés auf, das zwischen einem 7-Eleven-Laden und einem Reinigungsgeschäft eingezwängt ist. Bunte Drucke von Tieren – einem Lama, einem Elefanten, einer Katze – hängen an der Wand. Auf einem Zeitschriftenregal stehen zerlesene Magazine. Nur ein einziger Gast sitzt an einem der kleinen, runden Tische – eine weißhaarige Frau, die Zeitung liest.
Das Mädchen hinter der Theke sieht aus, als wäre sie um die zwanzig. Ihr langes dunkles Haar hat sie mit einem Bleistift zu einem unordentlichen Knoten hochgesteckt. Als sie Ty entdeckt, breitet sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus.
»Hi, Audrey. Wir hätten gern zwei große Tassen Kaffee des Hauses.«
»Klar.« Sie sieht mich an und ich habe das Gefühl, dass sie mir nicht abkauft, ein Junge zu sein. »Wer ist dein Freund?«
Ty wendet sich mit einem Lächeln zu mir um, das ungezwungen wirkt. »Das ist Nate. Er ist neu hierher gezogen. Nate, das ist Audrey.«
Da ich mich nicht darauf verlassen kann, dass meine Stimme tief genug ist, nicke ich nur. Sie nickt brüsk zurück und wendet sich dann wieder Ty zu. »Solltest du nicht in der Schule sein?«
Er zuckt mit den Schultern. »Es ist nur Gesundheitserziehung. Was werde ich da groß verpassen? Selbstwertgefühl, Kondome, keine Zigaretten, keine Drogen, kein Alkohol. Ich glaube, damit ist so ungefähr alles abgedeckt.«
»Ich kenne dich und bin mir sicher, dass du das alles schon abgedeckt hast.« Sie zwinkert ihm zu, als wollte sie unterstreichen, dass sie und Ty alte Freunde sind. Nachdem sie Kaffee in eine dickwandige weiße Tasse gepumpt hat, reicht Audrey sie ihm. Bis zum oberen Rand sind noch etwa zweieinhalb Zentimeter frei. »Ich habe Platz für Sahne gelassen.« Sie sieht mich an. »Was ist mit dir? Brauchst du auch
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