Never Knowing - Endlose Angst
Holzfäller der Insel, der etwas auf sich hält, sein Leben verbringt. Bullig und mit breiter Brust, das weiße Haar dicht wie eine Krone, mit seiner Frau und den Töchtern zu beiden Seiten, sah er aus wie ein König.
»Nana!« Ally rannte auf Mom zu und umarmte ihre Beine. Ihre pinkfarbene Daunenjacke schob sich über ihre Ohren.
Einen Moment lang wünschte ich, ich könnte ebenfalls zu Mom laufen und sie umarmen. Alles an ihr war so weich … ihr dunkles Haar, das jetzt von silbrigen Strähnen durchzogen war, das parfümierte Puder, das sie immer benutzte, ihre Stimme, ihre Haut. Ich suchte in ihrem Gesicht nach Ärger, doch ich sah nur Erschöpfung. Mit flehendem Blick sah ich sie an.
Es tut mir leid, Mom. Ich wollte dir nicht weh tun
.
Sie sagte: »Lass uns in die Küche gehen, Ally. Ich habe eine Zimtschnecke für dich. Die Jungs sind schon hinten.« Sie nahm Allys Hand und führte sie fort.
Als sie an mir vorbeikamen, sagte ich: »Hi, Mom.«
Sie berührte meine Hand und versuchte, beruhigend zu lächeln. Ich wollte ihr sagen, wie sehr ich sie liebte, dass das alles nichts mit ihr zu tun hatte, aber ehe ich die Worte formen konnte, war sie verschwunden.
Ich warf mich in einen Sessel, meinem Vater gegenüber, das Kinn hochgereckt. Wir maßen einander mit Blicken. Ich schaute zuerst weg.
Schließlich sagte er: »Du hättest erst mit uns reden sollen, ehe du dich auf die Suche nach deinen leiblichen Eltern machst.«
Die jahrelange Arbeit in der Sonne hatte die tiefen Furchen um seinen Mund vertieft, der jetzt eine harte Linie bildete. Obwohl er über sechzig war, war es das erste Mal, dass mein Dad alt aussah, und eine Woge der Beschämung rollte über mich hinweg. Er hatte recht. Ich hätte es ihnen erzählen sollen. Ich hatte versucht, ihre Gefühle nicht zu verletzen und diese Unterhaltung zu vermeiden. Aber ich hatte alles nur noch schlimmer gemacht.
Er hob seine rechte Braue auf diese Weise, die mir stets das Gefühl vermittelt, eine ungeheure Versagerin zu sein. Das war auch dieses Mal nicht anders.
»Ich will wissen, woher diese Website die Information hat.«
»Das wüsste ich selbst gerne.« Ich starrte Melanie an.
Sie sagte: »Was siehst du mich so an? Ich wusste nicht einmal was davon, bis Dad es mir erzählt hat.«
»Natürlich.«
Melanie tippte sich mit dem Finger gegen die Schläfe und formte mit den Lippen
verrückt
.
Mein Blut schien zu brodeln, als heißer Zorn in mir aufwallte. »Weißt du was, Melanie, du kannst echt richtig …«
»Genug.«
Dads Stimme dröhnte.
Wir waren alle still. Ich traf Laurens Blick. An ihrem halb schuldigen, halb ängstlichen Gesichtsausdruck erkannte ich, dass sie Dad bereits gebeichtet hatte, über meine leiblichen Eltern Bescheid zu wissen.
Ich wandte mich an Dad. »Die einzigen anderen Menschen, die davon wissen, sind Evan und der Privatdetektiv, den ich angeheuert habe – aber das ist ein pensionierter Polizist.«
»Hast du seine Referenzen überprüft?«
»Er hat mir seine Karte gegeben, und …«
»Was weißt du über ihn?«
»Ich sagte dir doch, er ist ein pensionierter Polizist.«
»Hast du bei der Polizei angerufen und dir das bestätigen lassen?«
»Nein, aber …«
»Du hast ihn also nicht überprüft.« Dad schüttelte den Kopf, und mein Gesicht brannte. »Gib mir seine Nummer.«
Ich wollte ihm sagen, dass er nicht der einzige Mensch war, der irgendetwas auf die Reihe bekam, aber wie üblich schaffte er es, dass ich an mir selbst zweifelte.
»Ich schicke sie dir per E-Mail.«
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass Mom mit einem Teller in der Tür stand.
»Möchte jemand eine Zimtschnecke?«
Sie setzte sich aufs Sofa und stellte den Teller auf den Couchtisch, zusammen mit ein paar Servietten. Niemand nahm sich eine Schnecke. Dad sah Melanie und Lauren streng an, und beide griffen danach. Ich folgte ihrem Beispiel, auch wenn ich unmöglich einen Bissen herunterbekäme. Mom lächelte, doch ihre Augen waren gerötet – sie hatte geweint. Mist.
Sie sagte: »Sara, wir verstehen, dass du deine leibliche Familie finden wolltest, wir sind nur enttäuscht, weil du uns nichts gesagt hast. Es muss sehr verstörend für dich gewesen sein, als du herausgefunden hast, wer dein richtiger Vater ist.« Ihre blassen Wangen verrieten mir, dass sie selbst noch ziemlich verstört war.
»Es tut mir leid, Mom. Es war etwas, das ich allein tun musste. Ich wollte das erst verarbeiten, ehe ich mit jemandem darüber rede.«
Mom sagte: »Deine
Weitere Kostenlose Bücher