Never tell a lie - Lügen können töten - Psychothriller
Schwäne, die Melindas Mutter angeblich gesammelt hatte. Sie hatte keinen einzigen im Haus gesehen.
Ivy wühlte in einer kleinen Kommode mit Frauenkleidern herum, die nach Mottenkugeln rochen. Am Boden der letzten Schublade fand sie einen weiteren vergilbten Zeitungsausschnitt mit aufgerollten Ecken. Es war Ivys und Davids Verlobungsanzeige mit dem Foto, das an diesem
Morgen in der Zeitung abgebildet gewesen war. Nur dass neben David statt ihres eigenen Kopfs ein sauber ausgeschnittenes Loch prangte.
Irgendwie war sie auf krankhafte Weise von dir fasziniert, von euch beiden, von dir und David.
Jody hatte sich geirrt. Nur David war das Objekt von Melindas Obsession gewesen, nicht sie beide. Ivy war diejenige, die sie aus dem Bild verbannen wollte.
Ivy stopfte auch den verschandelten Zeitungsausschnitt in die Tasche. Dann fuhr sie mit der Hand über die Schreibtischplatte und fegte die lächerlichen Votivkerzen herunter.
Sie wollte gerade in den Schrank schauen, als sie ein scharrendes Geräusch über ihrem Kopf hörte. Ihr blieb fast das Herz stehen, und sie zog instinktiv den Kopf ein. Als sie auch noch einen dumpfen Schlag hörte, rannte sie los.
Sie lief aus dem Zimmer und durch den Wohnraum.
Dort oben konnte niemand sein, sagte sie sich. Über Melindas Schlafzimmer befand sich nichts als das Dach, und im übrigen Haus war über den Zimmerdecken kaum genug Platz zum Kriechen. Aber Vernunft konnte sie nicht bremsen. Sie rannte durch den Vorraum.
Die Geräusche, die sie gehört hatte, konnten nur von Eichhörnchen oder Vögeln stammen. Oder es war der Wind, der irgendwelchen Schutt über das flache Dach des Zimmers blies. Dennoch lief sie weiter. Sie wollte hinaus in die kalte, klare Abendluft, so weit wie möglich fort von diesem Haus mit seinen abscheulichen Gerüchen und feuchten, klammen Räumen.
Als sie an der Küchentür ankam, wurde ihr wieder übel. Unfähig zu atmen rang sie nach Luft. Die Übelkeit wurde stärker und schlug wie eine Welle von braunem Sumpfwasser über ihr zusammen. Sie hatte plötzlich so starke Blähungen, dass sie sich vor Schmerz zusammenkrümmte. Schweißtropfen bildeten sich auf ihrer Stirn und ihrer Oberlippe. Sie brauchte eine Toilette, und zwar sofort.
Ivy taumelte in das halbdunkle Schlafzimmer, vorbei an dem Bett und dem Doppelfenster, das zum Garten hinausgehen musste.
Eine Tür stand halboffen, und in dem dunklen Raum dahinter sah sie einen gefliesten Boden. Mit drei Schritten war sie dort. Noch nie hatte der Anblick einer Klobrille mit verfilztem Überzug sie so glücklich gemacht. Sie schaffte es gerade noch, nicht eine Sekunde zu früh.
Es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich ihrem Schicksal zu ergeben und ihrem Körper freien Lauf zu lassen. Zusammengekrümmt saß sie auf der Toilette. Hatte sie etwas Falsches gegessen? Sie hatte nichts als Orangensaft und Nüsse zu sich genommen. Die Würstchen, die Eier und den Kaffee, die Jody ihr angeboten hatte, hatte sie abgelehnt. Jetzt löste allein der Gedanke daran einen heftigen Brechreiz aus.
Es hätte ihr gerade noch gefehlt, dass sie oben und unten gleichzeitig explodierte.
Ivy schloss die Augen. Als sie zum letzten Mal einen solchen Durchfall gehabt hatte, war sie am Flughafen von Mexico City gewesen. Damals hatte sie nur den Wunsch nach ihrem eigenen Badezimmer mit ihren eigenen, sauber
duftenden Handtüchern gehabt, um anschließend in ihr eigenes, frisch bezogenes Bett kriechen zu können.
Jetzt war ihr, als hätte diese Zuflucht aufgehört zu existieren.
Ivy saß eine Ewigkeit auf der Toilette, bis es endlich vorbei war. Wenigstens hing noch Klopapier an der Rolle.
Ivy klebte das Hemd am Rücken, als sie sich mit einem rissigen Stück Seife wusch. In dem dunklen Badezimmer konnte sie ihr Gesicht im Spiegel kaum erkennen. Ihre Haut sah teigig aus, und der Pony klebte ihr an der Stirn. Sie spritzte sich Wasser in das schweißnasse Gesicht.
Über dem Badewannenrand hing ein Handtuch. Als sie es berührte, fuhr sie zurück. Es war steif und fühlte sich fast wie Pappe an. Ivy wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn.
Ihr Magen zog sich wieder zusammen. Bitte, nicht schon wieder! Sie beugte sich vor und hielt sich am Badewannenrand fest. Die Übelkeit wurde stärker und ebbte schließlich ab.
In diesem Augenblick bemerkte sie, dass die Badewanne hinter dem hellgrünen Duschvorhang bis zum Rand mit etwas gefüllt war. Was war das? Sand? Die Oberfläche war geglättet.
Ivy griff nach dem
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