Never tell a lie - Lügen können töten - Psychothriller
mochte hier wohnen, und warum waren Melindas Sachen immer noch hier, aufbewahrt wie in einer Zeitkapsel?
Sie klopfte an die Tür. Sekunden vergingen. Ivy stand fröstelnd im Dämmerlicht. Keine Lampe flammte auf. Keine Schritte waren zu hören. Sie klopfte noch einmal,
lauter diesmal, und wartete wieder. Dann zog sie sich den Ärmel über die Hand, drehte den Türknauf und versuchte, die Tür aufzustoßen. Sie bewegte sich nicht.
Es musste einen Seiten- oder Hintereingang geben, vielleicht auch beides.
Ivy ging an der Hauswand entlang zurück und lief die Einfahrt hinauf. Hinter einem verkommenen Kräutergarten - ein bisschen Pfefferminze, eine schäbige Schnittlauchpflanze und ein paar gelbe Blumen, die wie knopfgroße Chrysanthemen aussahen - befand sich eine Tür.
Ivy stieg die beiden Betonstufen hinauf. Ein paar Briefumschläge und ein großer Umschlag aus Pappe, der sich an einer Seite aufzulösen begann, waren in die Windfangtür geklemmt. Das bestärkte Ivy in ihrem Vorhaben. Wenn jemand dieses Haus in letzter Zeit betreten hätte, hätte er die Post mit hineingenommen.
Sie bückte sich. Die Adresse war gerade noch lesbar. »Elaine Gallagher.« Wenn diese Elaine Gallagher das Haus von Mrs White gekauft hatte, warum sah dann das kleine Schlafzimmer so aus, als ob Melinda White noch immer darin wohnen würde?
Ivy zog sich wieder den Ärmel über die Hand und öffnete die Windfangtür. Die Post fiel heraus auf die oberste Treppenstufe. Durch eine kleine Glasscheibe in der Tür konnte sie in eine dunkle Küche sehen.
Sie griff nach dem Türknauf der Innentür. Wider Erwarten war sie nicht verschlossen. Als sie sich öffnen ließ, schnappte Ivy nach Luft. Erschrocken schlug sie die Tür sofort wieder zu und riss die Hand vom Türknauf, als
hätte sie sich verbrannt. Der Schlag ließ die Fenster erzittern und hallte durch die ganze Straße. Auch die Windfangtür fiel krachend zu.
Ivy trat zurück und stolperte über mehrere Plastikbehälter, die neben der Tür aufgestapelt waren und ins Gras rollten.
Waren das Schritte im Haus? Mit klopfendem Herzen wartete Ivy darauf, dass die Lichter angingen.
Die Scheinwerfer eines Autos erhellten die Straße, und eine dunkle Limousine fuhr vorbei. Zum Glück kein goldfarbener Crown Vic. Aber was, in aller Welt, hatte sie sich gedacht? Sie wusste, dass die Polizei sie beobachtete. Ivys Anwesenheit würde nur ihre Aufmerksamkeit auf dieses Haus lenken.
Sie beeilte sich, die Plastikcontainer wieder aufzusammeln. Es waren leere Zwanzig-Liter-Behälter für Streusalz - für diese bescheidene Einfahrt und den Gehsteig vor dem Haus musste das ein Zehn-Jahres-Vorrat sein. Sie stellte die Behälter zurück auf die Treppe.
Dann begann sie, die verstreute Post aufzusammeln. Der Riss auf der Seite des großen Pappumschlags hatte sich erweitert, und ein Teil des Inhalts war herausgefallen. Umschläge. Post in der Post? Vielleicht handelte es sich um Briefe, die Elaine Gallagher von ihrer vorherigen Wohnung aus nachgeschickt worden waren.
Ein Kontoauszug, eine Kreditkartenrechnung, etwas, das aussah wie ein Scheck von der Sozialversicherung. Als Ivy sie in den Pappumschlag zurückstopfte, fiel ihr Blick auf die Adresse - Gereda White, P.O. Box 519, Naples, Florida.
Wenn Mrs White in Florida bei Melindas Schwester Ruth lebte, warum wurden dann ihre Kreditkartenrechnung, ihre Bankauszüge und ihr Pensionsscheck hierhergeschickt?
Ivy drehte den Pappumschlag um. Und wer, zum Teufel, war Elaine Gallagher?
24
Ivy nahm allen Mut zusammen und öffnete die Tür. Ein säuerlicher, fast ranziger Geruch schlug ihr entgegen. Mit angehaltenem Atem betrat sie die dunkle Küche. Die Jalousien an den Fenstern waren heruntergezogen, und das Haus war still und kalt. Die Küchentheke war leer, die Schränke geschlossen. Durch eine halboffene Tür konnte sie einen Blick in ein Schlafzimmer werfen.
Sie überwand den Impuls, augenblicklich kehrtzumachen und so schnell wie möglich davonzulaufen. Niemand war zu Hause, sagte sie sich. Der Lärm, den sie gemacht hatte, als sie die Tür zuschlug, hätte selbst Tote aufgeweckt. Es würde nur eine oder zwei Minuten dauern, dieses Foto und alles, was sonst noch etwas mit David zu tun hatte, zu beseitigen.
Sie zwang sich, durch die Küche und ein kleines Esszimmer in den Vorraum zu gehen, und rannte durch das Wohnzimmer. Vor einem Sofa mit einer braun-schwarzen Steppdecke stand eine mit Hummel-Figuren vollgestellte Schuster-Werkbank, die mit einer
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