Nevermore
einen Weg zu ihm, kniete sich neben ihn und versuchte, nicht auf den weißen Knochensplitter zu sehen, der unter seinem Knie aus der Haut ragte, oder auf das Blut, das durch das metallische Gold seiner Uniformhose sickerte. Als sie ihm den Helm abnahm, fiel sein Kopf schlaff zur Seite. Nasse kupferfarbene Locken klebten an seinen Schläfen und an seiner Stirn. Aus seinem sonst so gut aussehenden Gesicht war jegliche Farbe gewichen.
»Brad!« Isobel legte eine Hand auf seine kalte Wange.
Seine Augen öffneten sich flatternd und Isobel blieb die Luft weg. Nur ein schmaler Spalt helles Neonblau war noch zu sehen; der Rest seiner Iris war aufgezehrt und verdeckt von zwei tiefschwarzen Scheiben.
Die zwei münzgroßen Löcher richteten sich auf sie. »Sie kommen näher«, murmelte Brad. Die Muskeln seines fahlen Gesichts zuckten unter Isobels Fingerspitzen. Er zitterte am ganzen Körper.
»Brad, es ist alles in Ordnung.« Sie strich ihm mit der Hand sanft über die Stirn.
»Nein, nein«, nuschelte er, »bleib weg.« Das Zittern wurde stärker.
Jemand fasste Isobel am Arm, sagte ihren Namen, zog sie weg und half ihr auf. Sie ließ es zu, sie war nicht imstande, sich dagegen zu wehren.
»Alle einen Schritt zurück, bitte!«, rief jemand und bahnte sich einen Weg durch die Menge - ein Sanitäter. Er stellte seinen roten Koffer ab und kniete sich neben Brad ins Gras. Brads Augen drehten sich nach oben und seine Lider fielen wieder zu.
»Isobel!« Jemand packte sie an den Schultern und schüttelte sie. »Isobel«, wiederholte Trainerin Anne. Isobel blinzelte und konzentrierte sich. »Du wirst mir jetzt nicht schon wieder ohnmächtig, oder?«
Isobel schüttelte den Kopf. Nein. Sie war sehr, sehr wach.
»Komm, geh zurück an die Seitenlinie und warte dort. Es ist eine schwere Verletzung, aber sie wird wieder verheilen. Okay?«
Isobel nickte benommen, als ihre Trainerin sie vom Geschehe^ wegdrehte. Langsam bewegten sich ihre Beine vorwärts und ihr Körper folgte widerwillig. Sie sah Stevie und Nikki, die gegen die Absperrung gedrückt standen und das Geschehen auf dem Spielfeld beobachteten. Fassungslosigkeit in ihren Gesichtern.
In der Mitte des Spielfelds blieb Isobel stehen. Sie strich mit dem Daumen über die glatte Oberfläche des Zettels, den sie noch immer in der Faust hielt, und faltete ihn auseinander. Im grellweißen Schein der Stadionscheinwerfer las sie die eleganten, mit violetter Tinte geschriebenen Zeilen.
Isobel,
ich wusste nicht, wie ich Dich sonst erreichen sollte.
Nach heute Abend wird das alles vorbei sein.
Ich wollte Dich nie in das hier mit reinziehen - niemals.
Bitte glaub mir das.
Irgendwie habe ich die Kontrolle über alles verloren.
Das Einzige, was ich mir wünsche, ist, Dich wiederzusehen.
Ich wünschte, ich könnte Dir alles erzählen. Vor
allem wünschte ich, dass wir die Möglichkeit hätten, noch mal von vorn anzufangen.
Was auch immer jetzt passiert, bitte glaub mir,
ich wollte nicht, dass es so endet.
Für immer Dein,
V
‘The Grim Facade
Sie holte noch schnell ihre Sporttasche aus der Mädchenumkleide, dann schlüpfte Isobel durch den Seiteneingang des Stadions hinaus auf den dunklen Parkplatz. So schrecklich das auch klang, aber nachdem sie Varens Brief gelesen hatte, hatte sie den allgemeinen Trubel um Brads Verletzung dazu genutzt, sich unbemerkt davonzustehlen. Sie hatte vermeiden wollen, dass Nikki oder Stevie (oder sonst irgendjemand) ihr hinterherliefen oder sie fragten, wo sie hinwollte. Sie durfte sich nicht aufhalten lassen. Sie hatte schon viel zu viel Zeit vergeudet. Alles, was jetzt noch zählte, war, Varen zu finden.
Als Isobel über den Parkplatz auf den Cadillac zuging, stellte sie sich vor, wie ihr Gesicht jetzt wohl aussah - finster und leichenblass.
»Was ist denn los?«, fragte Gwen.
Ein großer, dünner Junge mit struppigen schwarzen Haaren stand neben ihr. Er musterte Isobel, als sie sich ihnen näherte, und grinste, so als ob er irgendetwas Lustiges entdeckt hätte. Sie starrte ihn zornig an und wartete darauf, dass er einen Kommentar über ihre Cheerleaderuniform von sich gab. Sollte er ruhig. Sie war sich nämlich sicher, dass die schwarze Jeans, die er trug, aus der Mädchenabteilung von C&A stammte.
Gwen hatte ihre Cheerleader-Verkleidung gegen ein schwarzes Kleid mit V-Ausschnitt ausgetauscht. Mit seinen riesigen Glockenärmeln und der nicht vorhandenen Taille sah es aus wie das Nachthemd eines Vampirs. Das ganze
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