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Nevermore

Nevermore

Titel: Nevermore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelly Creagh
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nach einem Weg zu den Wäldern. Wenn du dort bist, musst du die Tür finden. Du wirst wissen, welche ich meine, wenn du sie siehst. Geh durch und warte nicht auf mich. Und glaub nichts von dem, was du siehst.«
    »Was? Aber … ich … ich verstehe nicht.«
    Er schüttelte sie. »Versprich es mir!«
    »Varen, ich -«
    Die Worte blieben ihr im Hals stecken, als sie sah, wie seine Pupillen sich weiteten. Der dünne Stachel der Angst, der sich darin festgesetzt hatte, dehnte sich immer weiter aus und verschlang das Jadegrün seiner Augen, bis nichts mehr davon übrig war. Bis seine Augen zwei schwarze, münzgroße Löcher waren.
    Isobel spürte, wie sie am ganzen Körper zu zittern begann. Sie streckte die Hand nach ihm aus, zog sie jedoch zurück, als wolkige schwarzlila Tintenwirbel hinter Varens Schultern hervorkrochen wie Tausende krabbelnde Insekten. Dunkelheit hüllte ihn ein und wurde dichter, wirkte wie ein formloses Gespenst, das gierig seine unendlich langen Tentakel nach Varen ausstreckte. Die Wirbel legten sich um seine Schultern und seine Arme. Zwei leuchtend weiße Hände tauchten aus dem aufgewühlten Nichts auf und krallten sich an Varens Brust fest. Das weiße Gesicht einer Frau blitzte über seiner Schulter auf - ihre Augen zwei leere Höhlen.
    Von Panik ergriffen streckte Isobel noch einmal die Hand nach Varen aus. Sie bekam seinen Arm zu fassen und einen Augenblick lang hielten sie einander fest umschlungen.
    »Du musst die Tür finden«, sagte er. Dann ließ er los.
    »Nein!«
    Begleitet von zischenden Schatten fiel Varen nach hinten, in die offene Wunde aus Dunkelheit. Trotz Isobels verzweifelten Bemühungen, ihn festzuhalten, entglitt sein Arm ihren Händen. Und dann schlug die Schwärze über ihm zusammen. Sie verschluckte Varen, Stück für Stück, bis sie fort war. Und Varen mit ihr.
    »Varen!« Isobel lief zu der Stelle, an der er verschwunden war.
    Sie drückte ihre Hände flach gegen die Wand und rief verzweifelt: »Varen!«
    Ruckartig drehte sie sich um und suchte den Raum ab. Die Glühbirne an der Decke schwang noch immer hin und her. Hin und her. Isobel atmete schwer und ihr Herz pochte heftig, während sie die Lampe mit den Augen fixierte, so als ob diese mit dem nächsten Schwung Varen zurückbringen würde.
    Sie lief in die Mitte des Zimmers und drehte sich im Kreis. Als sie anhielt, bewegte sich der Raum um sie herum weiter. Er drehte sich und drehte sich, schneller und schneller, bis alles verwischte und verschwamm. Das Licht. Das Gelächter. Die Stimmen und die Musik. Isobels Beine fühlten sich plötzlich schwach an. Schwindel überfiel sie. Ihr Körper gab sich geschlagen und ihre Knie schlugen auf dem Boden auf. Der Raum schwirrte noch schneller. Übelkeit stieg in Isobel hoch. Sie senkte den Kopf, schloss die Augen und hielt sich mit den Händen die Ohren zu, versuchte alles auszusperren. »Stopp!«, sagte sie, dann schrie sie: »Stopp!«
    Ein leises Klicken, das sich anhörte wie das Entriegeln einer Tür, durchbrach ihr Bewusstsein.
    Isobel sah auf.
    Der Raum hatte aufgehört, sich zu drehen. Die Tür stand einen Spalt weit offen. Licht schien herein - ein schummriges, blutrotes Glimmen. Durch den Spalt konnte Isobel einen plüschigen schwarzen Teppich und den Saum schwerer schwarzer Vorhänge erkennen.
    »Kommt, lasst uns gehen«, hörte sie einen Mann sagen. Er sprach mit einem Akzent und seine Worte übertönten das Stimmengewirr und ein schrilles Lachen in der Ferne. Irgendwo klingelten ein paar Glöckchen.
    »Wohin?«, fragte ein anderer Mann.
    »In Eure Kellereien.«
    Der Duft von Zimt, frisch gebackenem Brot und gewürztem Fleisch sickerte durch die Tür und Isobels Magen krampfte sich zusammen. Sie verharrte regungslos, lauschte und kämpfte ge, gen den Drang an, sich zu übergeben.
    Als sie das Gefühl hatte, wieder aufstehen zu können, erhob sie sich und ging auf wackeligen Beinen zur Tür. Zittrig streckte sie die Hand nach dem Knauf aus. Die Tür öffnete sich nach außen, genau andersherum als zuvor. Sie ging ganz leicht auf, allein dadurch, dass Isobel sie berührte. Sie musste keinerlei Kraft aufwenden.
    Die Musik spülte über sie hinweg, stieg an und wurde wieder leiser. Die Melodie wurde variiert und begann dann erneut von vorne. Eine mit Ebenholz verkleidete Kammer erstreckte sich vor Isobel. Schwere Samtvorhänge flössen an den hohen Fenstern hinab wie starre schwarze Wasserfälle. Ein gespenstisches Licht spielte mit den blutroten Buntglasscheiben und

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