Nevermore
dafür. Ganz besonders du, Isobel.«
Isobel ging ins Haus und sah ein letztes Mal über ihre Schulter in die Dunkelheit. In den Zweigen von Mrs Finleys Eiche bemerkte sie einen schwarzen Vogel. Sein Blick war auf sie geheftet.
Zum Abendessen gab es Truthahn mit Kartoffelpüree, doch Isobel bekam nicht mehr als ein paar Bissen hinunter. Zwischen ihrem Vater, der sie wieder und wieder fragte, ob es ihr wirklich gut ging, und ihrer Mutter, die alle drei Sekunden ihre Stirn befühlte, konnte sich Isobel ohnehin nicht auf das Essen konzentrieren. Schließlich entschuldigte sie sich und stand auf, um duschen zu gehen.
Warmes Wasser und Alleinsein erleichterten das Nachdenken. Isobel spürte, wie die Anspannung von ihren Schultern glitt und zusammen mit dem Schmutz und dem Schweiß im Abfluss verschwand. Ihre Muskeln entkrampften sich und eingeschlossen ln dem kleinen warmen Raum fühlte sie sich sicher.
Sie drehte das Wasser ab, stieg aus der Dusche, wickelte ein Handtuch um ihre Haare und zog den plüschigen pinken Bademantel an, den sie letztes Jahr von ihrer Mutter zu Weihnachten bekommen hatte.
Vermutlich musste sie sich bei Danny dafür bedanken, dass sie keine Schwierigkeiten bekommen hatte. Die Waschbärgeschichte war ziemlich schlau gewesen, denn in letzter Zeit war tatsächlich irgendetwas nachts ums Haus herumgeschlichen und hatte die Mülltonnen umgeworfen. Natürlich wusste Isobel, dass er ihr nicht aus brüderlichem Pflichtgefühl zu Hilfe gekommen war, sondern wegen ihres Pakts. Wenn sie im Frühjahr kein Auto bekam, hätte er auch keinen Chauffeur.
Isobel sammelte ihre dreckigen, verschwitzten Klamotten ein. Sie verließ das warme, dampfende Badezimmer und schmiegte sich in ihren Bademantel, als sie den kalten Flur entlangging. Sie schloss ihre Zimmertür hinter sich, sah sich um und bemerkte, dass Danny sich nicht die Mühe gemacht hatte, die Vorhänge zuzuziehen, nachdem sie gegangen war. Seufzend ließ sie ihre Klamotten in den Wäschekorb fallen und ging zum Fenster, um die Jalousie herunterzulassen.
Sie hielt kurz inne und schaute in die Nacht hinaus. Dieser Vogel. Er war immer noch da und saß nach wie vor auf demselben Ast der knorrigen Eiche auf der anderen Straßenseite. Er schien sie direkt anzustarren.
Isobel schloss die Jalousie und zog die Spitzenvorhänge zu. Dann setzte sie sich auf die Bettkante, wickelte ihre Haare aus dem Handtuchturban und tupfte sie ab. Sie legte das Handtuch zur Seite, griff nach dem metallicgrünen Föhn auf ihrem Nachttisch (den sie nur selten aussteckte oder aufräumte) und stellte ihn auf die niedrigste Stufe. Mit schief gelegtem Kopf führte sie den Föhn träge über ihr Haar, von einer Seite zur anderen. Mit freien Hand nahm sie ihr Handy vom Nachttisch, wo sie es zum Aufladen hingelegt hatte. Sie klappte es auf und sah nach, ob sie Anrufe erhalten hatte. Wieder keine. Sie seufzte. Alles in allem überraschte es sie nicht.
Sie starrte die Wand an und ihr Blick ging ins Leere. Die warme Luft fühlte sich gut auf ihrer Kopfhaut an und machte sie, zusammen mit dem leisen Surren, schläfrig. Isobel war überzeugt gewesen, heute Nacht nicht einschlafen zu können, aber jetzt, zu Hause und von Normalität umgeben, begann die Erinnerung an die Schreckensminuten zu verblassen. Es schien, als wäre das alles schon vor einem Monat passiert und nicht erst vor einer Stunde.
Wie schon ein Dutzend Mal, ließ sie das Ganze noch einmal Revue passieren. Wenn sie nicht so viel Angst gehabt hätte und nicht völlig neben der Spur gewesen wäre, dann hätte sie vielleicht gesehen, wer es gewesen war. Doch sie hatte nicht anhalten und warten wollen, bis jemand auftauchte. Während der Gedanke dort draußen, als sie ihren imaginären Gegner mit einem Stock bedroht hatte, ganz plausibel gewesen war, versuchte sie jetzt mit der Vorstellung klarzukommen, dass sie vielleicht von jemandem verfolgt worden war, den sie kannte. Und wenn das der Fall war, dann war es höchstwahrscheinlich einfach nur ein kranker Scherz gewesen, oder?
Ja, sie wusste, dass das nicht viel Sinn ergab. Isobel runzelte die Stirn. Im Grunde ergab rein gar nichts einen Sinn. Es war unwahrscheinlich, dass Brad oder irgendjemand von den anderen so etwas tun würde. Das konnte sie sich einfach nicht vorstellen. Außerdem hätte Brad ihr bis zum Buchladen folgen und dann draußen auf sie warten müssen. Sie konnte sich zwar vorstellen, dass er ihr hinterherspionierte, doch dass er sie in der Dunkelheit durch
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