Nevermore
sie nur noch etwa einen Meter von ihnen entfernt war. Langsam kam sie zum Stehen.
Jeder starrte sie jetzt an - die ganze Cafeteria -, sie konnte es spüren wie eine kaum merkliche Schwingung. Es war, als ob sie das Staffelende irgendeiner Fernsehserie schauten und alle darauf warteten herauszufinden, wer denn nun sterben würde.
Unter all den eisigen Blicken war es Varens, den Isobel suchte. Aber warum kam es ihr nur so vor, als wäre er der Letzte, der sie ansehen wollte?
»Was willst du, Barbie?«, fragte das Mädchen, das neben ihm saß.
Isobel presste die Lippen aufeinander. Sie registrierte die Worte, war jedoch aus irgendeinem Grund nicht in der Lage zu antworten. Sie war zu sehr auf Varen konzentriert. Darauf, dass er etwas sagte. Dass er für sie Partei ergriff.
Alles, was sie tun konnte, war, ihre Augen auf seine gerichtet zu lassen, während sie herumstand und wartete - darauf, dass er ihr zu Hilfe kam, darauf, dass er ihr einen Sitzplatz anbot.
»Hallo«,sagte das Mädchen, wedelte mit einer Hand und brach damit den Bann.
Varen drehte sich weg.
Wie benommen sah Isobel seine Tischnachbarin an. Sie hatte Varen den roten Umschlag gegeben und von ihr hatte er ein Bild in seinem Geldbeutel. Lacy.
»Ich weiß nicht, ob du dich verlaufen hast oder so«, sagte sie mit tiefer, sanfter Stimme und vollkommenem Desinteresse. »Oder ob es zu schwierig ist, dich daran zu erinnern, an welchem Tisch du eigentlich sitzen solltest.« Ein Kichern lief durch die Reihen der anderen. »Aber hier kannst du dich nicht hinsetzen.«
Isobel blickte wieder zu Varen. Sag es ihnen, dachte sie. Warum sagte er es ihnen nicht einfach?
Er saß da und starrte mit verhärtetem Kiefer geradeaus.
Wie ein Elektroschock durchzuckte Isobel eine Woge aus Angst, Demütigung, Verlegenheit und Wut. Eine tödliche Mischung, die ihr Inneres erfüllte. Mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde der Knoten in ihrer Magengegend größer. Sie spürte, wie alle Augen auf ihr ruhten - ihr Gesicht brannte. So lief das also?
»Ich kann es nicht glauben«, sagte sie und ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Aber sie sprach ihn direkt an. Redete mit ihm. Warum sah er sie nicht an?
Langsam folgte der restliche Tisch, einer nach dem anderen, Varens Beispiel. Sie drehten sich alle wieder zu ihrem Essen, begleitet von Kettenklirren und dem Rascheln schwarzer Spitze - über ein paar geschminkte Münder zog sich ein dunkles Lächeln. Abgeblitzt, schienen sie zu sagen.
Nein, dachte Isobel, so einfach würde sie es ihm nicht machen. »Du denkst, du bist anders.« Ihre Stimme klang brüchig und sie hasste sich dafür. »Ihr alle denkt, dass ihr so anders seid« fuhr, sie fort, diesmal lauter. »Ihr tut alles, nur um anders zu sein«, fauchte sie.
Am Tisch - in der ganzen Cafeteria - war es mit einem Schlag mucksmäuschenstill.
»Aber das seid ihr nicht«, sagte sie schließlich. »Ihr seid genau wie … All. Die. Anderen.« Isobel machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte davon. Sie knallte ihr Tablett auf einen freien Tisch - laut klappernd schlug es auf der Tischplatte auf. Ohne irgendjemandem in die Augen zu sehen, stürmte sie aus der Cafeteria.
Allein auf dem Flur biss sie sich so fest auf die Unterlippe, dass sie den kupferartigen Geschmack von Blut auf der Zunge spürte. Mit der Faust schlug sie gegen eine der Spindtüren. Bescheuert. Bescheuert, bescheuert, bescheuert!
Sie lief weiter, geradewegs zur nächsten Mädchentoilette, und drückte die Tür auf.
Mit dem Ärmel ihres Sweatshirts tupfte sie sich die Augen ab. Sie hasste es, dass ihre Tränen ihn total durchnässten, sie hasste es, dass sie den Stoff später mit der Hand würde waschen müssen, um die Mascaraflecken herauszubekommen - am meisten jedoch hasste sie den Gedanken, dass er vielleicht mitbekommen hatte, dass sie weinte.
Isobel griff nach dem Mülleimer, der randvoll mit zusammengeknüllten Papiertüchern und Tempos war, und warf ihn um. Scheppernd fiel er auf den Fliesenboden.
Es war ihr egal. Wirklich. Es war einfach nur peinlich, das war alles. Erniedrigend. Doch auf der anderen Seite: Was hatte sie denn erwartet? Eigentlich sollte sie nicht überrascht sein. Nicht von Brad, nicht von Nikki - am allerwenigsten von ihm .
Es ist mir egal. Sie sagte es sich wieder und wieder, während sie auf und ab ging und dabei auf den nassen Papiertüchern herumtrampelte.
Alles, was ihn interessiert hatte, war das Projekt gewesen.
Das Einzige, was ihn kümmerte, war die Note.
Sie
Weitere Kostenlose Bücher