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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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geendet habe, und auch dann mit äußerster Vorsicht, denn russische Wände haben oft Ohren.»
    Ich nickte, nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche, die er mitgebracht hatte, und hüllte mich enger in meinen Mantel. Und Volga setzte zu der vermutlich längsten Rede seines Lebens an:
    «Als erstes sollten Sie wissen, daß der Maestro nicht die erste Herrschaft ist, der ich gedient habe. Die erste war Ihre Großmutter, die daeva. Sie fand mich, als sie bereits eine bekannte Sängerin war und ich ein Junge, der im Ersten Weltkrieg beide Eltern verloren hatte und für ein paar Pfennige auf den Straßen von Paris arbeitete.»
    «Sie meinen, Pandora hat Sie wie ein Kind aufgenommen?» sagte ich überrascht. Für eine junge Frau, die bereits für Laf und Zoe zu sorgen hatte und die laut Dacian Ende des Krieges nicht viel älter als zwanzig gewesen sein konnte, schien mir das eine außerordentliche Belastung. «Und wie kam sie nach Paris? Ich dachte, sie lebte in Wien.»
    «Damit Sie die Art unserer Beziehung verstehen, muß ich Ihnen etwas über mich und mein Volk erzählen», sagte Volga, als müßte er sich bei mir entschuldigen. «Es ist ein Teil der Geschichte.»
    Plötzlich kam mir der Gedanke, daß der steinerne Volga Dragonoff vielleicht tatsächlich mehr wußte – oder zumindest bereit war, mir von dem, was er wußte, mehr mitzuteilen als die anderen Mitspieler in meiner ungewöhnlich zurückhaltenden und argwöhnischen Familie. Daß ich hier mitten in der Nacht allein mit ihm zusammensaß in einem Speisesaal einer einstmaligen Kaserne, erwies sich möglicherweise als Gelegenheit, das Geheimnis zu lüften.
    «Sie haben sich die Mühe gemacht, hierherzukommen, Volga, und ich werde Ihnen selbstverständlich zuhören», versicherte ich ihm, während ich einen Handschuh auszog und auf meine Finger pustete, um sie zu wärmen.
    «Ich wurde in Transsylvanien geboren, aber nur meine Mutter stammte von dort», sagte Volga. «Mein Vater kam aus einer Gegend, die ein Dreieck bildet zwischen dem Berg Ararat nahe der türkisch-iranischen Grenze, dem georgischen Kaukasus und Armenien. In diesem Landstrich lebte früher – und das lag damals schon ein Jahrhundert zurück – ein aussterbender Menschenschlag, zu dem auch mein Vater gehörte. Es waren die ashokhi, Barden oder Poeten, die die ganze Geschichte und Genealogie unseres Volkes bis zurück zu Gilgamesch in ihrem Gedächtnis speicherten. Auch ich wurde von Kind an als ashokh ausgebildet. Ich kannte die ungeschriebene Geschichte unseres Volkes. Als meine Eltern im Ersten Weltkrieg während der sogenannten Balkankrise umkamen, befand sich die Welt im Wandel. Ich wurde von einer Zigeunergruppe aufgenommen, die aus der Region flüchtete. Wie andere Zigeunerkinder auch bettelte ich auf den Straßen um Geld. Die Menschen, die vor der Römerzeit in Transsylvanien lebten, hießen ‹Daci› oder ‹Wölfe›, und der Mann, der mich in seinen Zigeunerstamm aufnahm, hieß ‹Dacian›. Er war damals wohl Mitte Zwanzig und ein hervorragender Geiger, der später einen jungen Burschen unterrichtete, den wir gegen Ende des Krieges in Salzburg auflasen und der sich Lafcadio Behn nannte.»
    Ich wollte ihn unterbrechen, aber ich zwang mich, den Mund zu halten und ihn fortfahren zu lassen.
    «Als Dacian allmählich erkannte, was ich gelernt hatte – daß ich trotz meiner Jugend vielleicht eine alte Legende kannte, von der nur wenige je etwas gehört hatten –, sagte er, wir müßten nach Frankreich reisen und seine ‹Cousine› Pandora treffen; daß ich ihr alles erzählen müßte, was ich weiß, und daß sie wissen würde, was zu tun sei.»
    «Und haben Sie ihr die Legende erzählt?» fragte ich und wagte vor Spannung kaum zu atmen.
    «Das habe ich», antwortete Volga. «Die Welt sähe heute anders aus, hätte ich Ihre Großmutter damals nicht getroffen – oder hätten wir ihr bei ihrer höchst wichtigen Aufgabe nicht geholfen.»
    Zu meiner Überraschung ergriff der sonst so zurückhaltende Volga Dragonoff meine Hände, ähnlich wie es Dacian in Wien getan hatte, und gab mir zum ersten Mal seit Wochen ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen.
    «Ich werde Ihnen jetzt etwas erzählen, das niemand weiß, nur ihre Großmutter, der ich gesagt habe, was ich Ihnen jetzt sagen werde.» Als ich einen Blick zur Tür warf, fügte er hinzu: «Sie brauchen keine Angst zu haben. Nur ein Eingeweihter wird verstehen, was es wirklich bedeutet.»
    «Aber ich bin auch keine Eingeweihte, Volga»,

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