Neville, Katherine - Der magische Zirkel
zu tun. Die beiden sind sich, soviel ich weiß, nie begegnet.»
«Ich bedaure, daß ausgerechnet ich es Ihnen sagen muß, aber es ist etwas, was Sie unbedingt wissen müssen», sagte Volga ruhig. «Ihre Mutter, Jersey, ist die Tochter von Zoe Behn.»
[Wenn die Moiren das Schicksal weben], stellen… die Kettfäden die Länge eines Menschenlebens dar. [Aber] was bedeuten die Schußfäden, die… um die einzelnen Kettfäden geknüpft werden? Es wäre natürlich, darin die verschiedenen Schicksalsphasen zu sehen, die das Los des Menschen sind, während er lebt, und deren letzte der Tod ist. Die alten nordischen Gottheiten, die Nomen, spannen das Schicksal der Menschen bei deren Geburt… Auch die Slawen hatten [solche] Göttinnen… und anscheinend auch die alten Hindu und die Zigeuner… Die Nornen spinnen und knüpfen nicht nur, sie weben auch. Ihr Netz hängt über jedem Menschen. R ICHARD B ROXTON O NIANS , The Origins of European Thought
Buddhismus ist sowohl Philosophie als auch Praxis. Die buddhistische Philosophie ist reich und tief. Die buddhistischen Praktiken werden Tantra genannt. Tantra ist das Sanskritwort für «weben».
Die größten Denker der indischen Zivilisation entdeckten, daß Worte und Begriffe sie nur bis zu einem bestimmten Punkt bringen konnten.
Jenseits davon kam die konkrete Ausführung von Praktiken, und dieses Erlebnis war unsagbar.
Tantra bedeutet nicht das Ende rationalen Denkens. Es bedeutet die Integration des Denkens… in größere Bewußtseinsspektren.
G ARY Z UKAV , Die tanzenden Wu-Li-Meister Volga Dragonoffs Enthüllung war die erste, bei der ich nicht das Gefühl hatte, ich müßte zusammenbrechen. Bei diesem revidierten Bild gab es in der Tat Aspekte, die wahr sein konnten nach dem, was ich über meine Familie mütterlicherseits wußte. Möglicherweise halfen sie mir sogar, ein paar leere Stellen im größeren Puzzle zu füllen.
Als ich zwei Jahre alt war, hatte meine Mutter unsere Koffer gepackt und meinen Vater verlassen. Augustus verbrachte die nächsten zwanzig Jahre teils in seinem Haus in Pennsylvania oder in den eleganten New Yorker Büros des familieneigenen Bergbau-Imperiums, dem Vermächtnis von Hieronymus Behn.
Jersey trat wieder wie vor ihrer Ehe in den glitzernden Hauptstädten Europas auf. Ich wurde sechs Jahre lang in ihrem turbulenten Kielwasser mitgeschleppt, bis sie Onkel Earnest heiratete. Augustus sah ich nach der Trennung nur selten. Er sprach nie viel über Familienangelegenheiten, und so sah ich zwangsläufig alles, was ich über die Ehe meiner Eltern oder über das frühere Leben meiner Mutter wußte, durch Jerseys Augen.
Jersey wurde 1930 auf der britischen Kanalinsel geboren, der sie ihren Namen verdankte. Sie hatte eine französische Mutter und einen irischen Vater. Als Frankreich 1940 vor Deutschland kapitulierte, waren die Kanalinseln vor der Küste der Normandie für die Engländer nicht mehr zu halten. Die Bewohner konnten sich evakuieren lassen, aber auf Jersey wollten über achtzig Prozent der Bevölkerung lieber bleiben trotz der vorhersehbaren Deportationen und Zerstörungen durch die Deutschen, die die Insel besetzten und zur «eisernen Faust des Westwalls» ausbauten. Erst gegen Ende des Krieges konnten die Briten die Inseln befreien. Aber so lange war meine Mutter nicht dort.
Zu Beginn der Invasion in Frankreich – so bekam ich es jedenfalls erzählt – eilte Jerseys Mutter ihrer Familie zu Hilfe und saß dann in Frankreich fest. Jerseys Vater, der für die britische Air Force flog, fiel in der Schlacht um England. Die zehnjährige Jersey, nun praktisch eine Waise, wurde von den Engländern nach London evakuiert. Als dann die Deutschen London bombardierten, wurde sie zusammen mit anderen englischen Kindern zu Familien in den USA geschickt, um dort das Ende des Krieges abzuwarten. Jerseys Mutter, die in der Résistance gekämpft hatte, wurde inzwischen als vermißt gemeldet.
Diese Geschichte, die Jersey immer wieder einmal erzählte, endete stets damit, daß sich Jersey die Tränen abwischte und uns zu bedenken gab, wie tapfer ihre unglücklichen Eltern waren und was sie selbst in jenen schweren Zeiten mitgemacht hatte. Damit erübrigte sich jeder weitere Kommentar.
Indizien für die Richtigkeit dieser Geschichte gab es genug; es gab auch Plakate, Programmhefte und Zeitungsberichte, die über Jerseys außerordentlich frühe Karriere in Amerika Auskunft gaben. Mit zehn kam sie als Pflegekind zu einer Familie in Neuengland,
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