Neville, Katherine - Der magische Zirkel
Geräusch seinen Hinterkopf traf. Belinus fiel vornüber auf das Gesicht.
Die zwei jüngeren Männer traten rasch hinzu und strafften die Halsschlinge, während Lovernios das Beil mit einem kräftigen Ruck aus dem Kopf seines Sohnes zog.
«Das ist der Tod durch Luft», sagte Lovernios. «Wir empfehlen dich Esus.»
In der Stille hörte Josef das knackende Geräusch, als der Luftröhrenknorpel brach.
Nun hoben die zwei Männer, unterstützt von Josef, den schlaffen, aber schönen Körper von Belinus vom Boden auf und hielten ihn mit dem Gesicht nach unten über das moorige Wasser. Lovernios sprach die letzten Worte, die in dieser Nacht gesprochen wurden:
«Das ist der Tod durch Wasser. Wir empfehlen dich Teutatas.» Der Leichnam sank ins Moor, wo er wie von der Erde verschluckt spurlos verschwand.
Doch kurz vorher meinte Josef etwas gesehen zu haben, das sich in dem moorigen schwarzen Wasser bewegte. Er dachte, er hätte den Gott gesehen, wie er den Körper des Belinus mit ausgebreiteten Armen empfing – und lächelte.
Ich hielt es für meine Pflicht gegenüber meinen Mitmenschen, diese Hinweise als Vorwarnung vor der Kommenden Rasse aktenkundig zu machen.
E DWARD G EORGE B ULWER -L YTTON
Die «Closerie des Lilas» ist nach wie vor eines der hübschesten Restaurants in Paris und zu jeder Jahreszeit verschwenderisch mit Blumen geschmückt. Wir hatten einen Tisch neben der Terrasse, wo sich Glyzinien am Gitterwerk rankten.
Zoe sagte, sie habe unser Essen schon im voraus bestellt. Als der Sommelier den Wein gebracht und Zoe gekostet hatte, kehrte sie zu unserem Thema zurück: die Familie.
«In der Nähe des San Bernardino entspringen vier Flüsse» begann sie. «Vor hundert Jahren gab es dort oben eine utopische Gemeinschaft. Meine Großmutter Clio, eine Frau, die nicht berühmt wurde, aber für unsere Familie von ungeheurer Bedeutung ist, lebte dort lange Jahre mit meinem Großvater Erasmus Behn, einem der Gründer der Gemeinschaft.»
Das erinnerte mich plötzlich an das, was Dacian Bassarides über Utopien gesagt hatte, als wir in Wien vor der Hofburg standen: daß Idealisten, die die Welt verbessern wollen, häufig damit beginnen, indem sie eine bessere menschliche Rasse zu züchten versuchen.
«Es sollte eine vollkommene Welt sein, dort droben auf dem Berg – die Rückkehr zu einem goldenen Zeitalter», sagte Zoe. «Im vorigen Jahrhundert suchten alle so etwas, und viele tun es heute noch. Aber wie gesagt, das Leben ist weder einfach noch ausschließlich schwarz oder weiß. Es kann durchaus sein, daß die Sehnsucht meines Großvaters nach Utopia das Grundübel war für all das Unglück, das folgte.»
Ich weiß nicht mehr, was wir bei diesem Lunch gegessen haben, aber von Zoes Geschichte habe ich kein Wort vergessen. Als sich immer mehr Teilchen zusammenfügten, sah ich allmählich, wie eine Familie, die eine kleine Rolle spielte, tatsächlich der Dreh- und Angelpunkt sein konnte – die Achse, um die sich die Dinge drehen wie die Tiere auf einem Karussell und wie der Tierkreis um den Stern an der Schwanzspit ze des Kleinen Bären.
Ich hörte mit großem Interesse zu, als Zoe vom Garten Eden unserer Familie – das heißt, bis zu der Zeit vor dem Sündenfall – zu erzählen begann.
Meine Großmutter Clio, sagte Zoe, war das einzige Kind einer Schweizer Familie, die sich, wie viele wohlhabende Familien damals, mit wissenschaftlichen Dingen beschäftigte. Dazu gehörten Reisen und die Erforschung von versunkenen Reichen und Kulturen. Auch Clio interessierte sich für die Antike. Aber sie stöberte nicht nur in Büchern, sondern widmete sich auch der erst kürzlich entdeckten Feldarchäologie.
Als sie zwanzig Jahre alt war, hatte sie mit ihrem Vater bereits zahlreiche Reisen in exotische und weit abgelegene Gegenden der Welt gemacht. Sie schloß sich dem autodidaktischen Archäologen Heinrich Schliemann an, der als Heereslieferant im Krimkrieg ein Vermögen gemacht hatte und es bei groß propagierten und opportunistischen Suchen nach den einstigen Königreichen von Mykenae und Troja ausgab.
Clio hatte alte Sprachen gelernt und war den Ursprüngen vieler Dinge nachgegangen, von denen sie aus modernen Dokumenten aus Gräbern und Höhlen erfahren hatte. Sie nutzte dieses Wissen mit einigem Erfolg zur örtlichen Bestimmung von Stätten einstiger Macht und Größe und bei der Suche nach kostbaren Gegenständen – so wie Schliemann allein durch das sorgfältige Studium der klassischen Literatur
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