New York für Anfaengerinnen
emotionale Mühle gerätst, nur weil ich mich nicht zurückhalten kann.«
»Aber warum hast du mir dann nicht genau das gesagt?«
»Hab ich doch.«
»Quatsch!« Jetzt wurde Zoe Schuhmacher langsam sauer. »Du hast immer nur kryptisches Zeug wie ›Halt dich fern von mir. Ich bin nicht gut für dich‹ gefaselt, Tom. Du hast mir aber nie die Wahrheit gesagt. Dass du verheiratet bist. Ver-hei-ra-tet!«
»Aber das war ich doch nur noch auf dem Papier.«
»Das sieht deine werte Gattin aber völlig anders. Sonst wäre sie doch nicht nach New York gekommen, um mir auf offener Straße an den Kopf zu werfen, dass ich mit ihrem Mann schlafe?«
»Vicky hat nicht wirklich das Recht, hier irgendetwas anders zu sehen.«
»Was soll denn das jetzt wieder heißen?«, fragte Zoe entnervt.
»Sie hat mich mit meinem Bruder Nate betrogen.«
*
Victoria »Vicky« Lancaster Fiorino hatte, wie Zoe nun erfuhr, hinter Toms Rücken ein Verhältnis mit seinem Bruder Nate begonnen, dem Herzchirurgen. Nate war erst kurz zuvor vom New York Presbyterian Hospital ans Kings College Hospital in die britische Hauptstadt gewechselt, um endlich aus dem Schatten seines Vaters zu treten. Das Verhältnis zu Tom, dem Erstgeborenen, der gerade wegen seiner eher ungewöhnlichen Berufswahl mehr respektiert wurde in der Familie, war schon immer angespannt gewesen. Nate hatte Tom nie verziehen, dass dieser mit vierzehn nicht wie standesüblich auf ein Elite-Internat nach Connecticut gewechselt war, sondern seinem Vater in die Schweiz gefolgt war, wo dieser am Kinderspital Zürich lehrte und forschte. Tom und Chuck, das war schon immer das engere Team gewesen. Nate und Kitty, na ja. An der American School in Lugano hatte Tom dann auch noch Justus von Schönhoff kennengelernt, der ihm den Bruder ersetzte. Kurz und gut: Nate hatte – zumindest in seinem Holzkopf – offenbar eine Rechnung offen gehabt.
Und Tom Prescott Fiorino? Der war zum ersten Mal in seinem Herzensbrecherleben von einer Frau betrogen worden. Aber er hatte niemandem – nicht einmal seinen Eltern – von Nates tragender Rolle in der ganzen Misere erzählt. Zoe dachte zuerst, dass es ihm peinlich gewesen sein musste, die ungewohnte Rolle des gehörnten Ehemannes zu spielen. Doch Tom meinte nur, es sei Ehrensache, dass Vicky, Nate und er die Problematik ganz alleine unter sich klären müssten. Für Zoe hörte sich das zwar alles ein bisschen sehr nach Cosa Nostra an, doch sie musste zugeben, beeindruckt war sie schon von Toms Standhaftigkeit.
»Als ich dich näher kennenlernte, dich auf der Fashion Week sah und in Miami und bei IKEA, wurde mir klar, dass du der Sauerstoff warst, der mich vor dem Ertrinken bewahrt hat«, versuchte Tom zu erklären, warum er sich dann doch noch hinreißen ließ, seine selbstgesetzte Abstandsregel aufzugeben.
Okay, die Sache mit dem Sauerstoff für Ertrinkende hörte sich auf Deutsch wirklich ziemlich Panne an, fand selbst Zoe. Aber Englisch konnte manchmal einfach viel poetischer sein, ohne total platt zu wirken.
You were a breath of fresh air for me, Zoe, as I was about to drown .
Warum Vicky sich auf diese Affäre mit Nate eingelassen hatte, ließ sich vielleicht auf die eine oder andere Paarungsgepflogenheit der Oberen Zehntausend zurückführen, vermutete Zoe. Wo Liebe in einer Verbindung erst einmal ein zu vernachlässigender Faktor zu sein schien. Die Ehe war dort offenbar – auch heute noch – ein strategischer Schachzug. Nach dem Clan der Fiorinos, die stammbaumtechnisch dem Whitney-Zweig angehörten, der wiederum mit den Rockefellers und den Tafts verbandelt war, waren in New York Museen, Parks und Brücken benannt. Bei der Hochzeit eines Clan-Mitglieds schien es in erster Linie immer um den Erhalt des Familienerbes und/oder um einen Pakt mit einer anderen Familie des gleichen Status zu gehen.
Nicht, dass Tom und Vicky sich anfangs nicht leidenschaftlich geliebt hätten. Im Gegenteil! Aus Leidenschaft war aber nie Liebe geworden, hatte Tom erzählt. Und manchmal ertappte man sich eben erst viel später dabei, in einem von anderen inszenierten Schauspiel die Hauptrolle zu spielen. Einem Schauspiel, das auf den ersten Blick so perfekt war, dass es einfach Realität sein musste, mutmaßte Zoe.
Tom hatte keine Ahnung gehabt, dass zwischen Vicky und Nate mehr war als nur schwägerliche Zuneigung, bis Nates New Yorker Freundin eines Abends heulend bei ihm anrief und fragte, ob Nate ein Verhältnis mit einer anderen habe. Sie sei
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