New York für Anfaengerinnen
Hamburg über Frankfurt und Los Angeles nach San Diego schien mindestens doppelt so lange zu dauern wie die auf ihrem Ticket angegebene Flugzeit von einundzwanzig Stunden und zwölf Minuten. Was wohl daran lag, dass Zoe Holzklasse reiste. Als ihre Maschine endlich auf dem San Diego International Airport landete, hing die Spätnachmittagssonne bereits tief über dem Pazifik und tauchte das Wasser und den Strand, die von ihrem Fensterplatz aus zum Greifen nah schienen, in ein milchig-orangefarbenes Abendrot.
Zoe schnappte sich ihr Handgepäck, verließ die Maschine, durchquerte den Flughafen und blieb benommen am Ausgang stehen. Es war Anfang April, aber es mussten vierundzwanzig, fünfundzwanzig Grad in San Diego sein. Die Menschen trugen Sonnenbrillen, Flip-Flops und ein entspanntes Dauerlächeln im Gesicht. Die Palmen auf der gegenüberliegenden Straßenseite wogten im sanften Wind. Schon die Fahrt vom internationalen Flughafen zum Hotel kam Zoe paradiesisch vor. Getoppt wurde diese dann aber noch von ihrem Zimmer. Als Panelteilnehmer war sie nicht im regulären Haupthaus des Del Coronado untergebracht, das auf einer der Stadt vorgelagerten Insel direkt am Strand lag, sondern in einem der über das großzügige Hotelgelände verstreuten Bungalows. Sie schlief bei Wellenrauschen ein und wachte am nächsten Morgen vom Streit zweier Pelikane, den diese auf dem Rasen genau vor Zoes Bungalow austrugen, wieder auf. Es war 11.30 Uhr früh kalifornischer Zeit.
Zoe Schuhmacher, die es nicht so sehr mit öffentlichen Auftritten hatte, war mächtig aufgeregt an diesem Freitagmorgen. Ihre Panelsession würde gleich nach der Begrüßung durch die Veranstalter um 14.30 Uhr beginnen. Sie machte sich mit der bungaloweigenen Ein-Tassen-Kaffeemaschine einen Kaffee, der metallisch schmeckte, egal wie viel verklebtes Instant-Milchpulver aus den bereitgestellten Tütchen sie hineinrührte. Aber besser als gar nichts, dachte sie sich. Für Frühstück war es jetzt ohnehin zu spät; in einer Stunde hatte sie ihre Verabredung zum Lunch. Gerade genug Zeit, um noch einmal das Konzept für Sehnsucht auf Englisch durchzugehen, damit sie auf der Bühne nicht nach Worten suchen musste. Danach duschte sie und zog ihre Glückshose an. Zoe hielt es wie mancher Fußballtrainer. Wenn wichtige Auftritte vor Publikum anstanden, trug sie immer ihre weiße Kaschmir-Seidenhose von Ralph Lauren und dazu eine schlichte schwarze Crêpe-Bluse. Als sie den von Palmen gesäumten Weg zum Haupthaus entlanglief, fühlte sie sich perfekt vorbereitet für den Tag. Nichts, aber auch gar nicht würde sie heute aus der Bahn werfen können. Da war sich Zoe Schuhmacher ganz sicher.
»Hi! Ich bin zum Lunch mit Justus Schönhoff verabredet«, sagte sie der Hostess des Hotelrestaurants.
»Der Herr ist schon da. Ich bringe Sie zu Ihrem Tisch«, antwortete die dauerlächelnde Dame, nahm eine Speisekarte mit und steuerte auf einen fast schon dürren, jungen Mann zu, dessen Haare raspelkurz waren, als hätte er sich kürzlich erst den Kopf geschoren. Er trug Jeans und ein weißes Hemd und sah Zoe erwartungsvoll an. Die blieb mitten im Gang wie gelähmt stehen.
»Zoe, es freut mich sehr, dich wiederzusehen«, sagte der Mann und stand auf.
»Vatsayana«, brachte Zoe schließlich mit Mühe heraus. »Du bist, bist du …?«
»Genau.« Er lächelte etwas verlegen. »Ich bin Justus von Schönhoff.«
Dann lief Zoe auf ihn zu und umarmte ihn. »Ich fasse es nicht, dass du mir die ganze Zeit in Indien nichts davon gesagt hast, als ich dir mein Herz ausgeschüttet habe«, rief Zoe und boxte ihn in die Schulter. »Du Mistkerl!«
»Es ging ja schließlich nicht um mich, sondern um dich. Du solltest herausfinden, wie es für dich weitergeht.«
Die beiden musterten sich wie alte Freunde, die sich jahrelang nicht mehr gesehen hatten.
»Gut siehst du aus«, sagte Justus, als sie sich setzten. »Ich bin wirklich froh, dass du nicht sauer auf mich bist.«
»Ein bisschen schon. Aber wieso bist du jetzt plötzlich hier?«
»Ich habe im Januar in Indien viel von dir gelernt, Zoe.«
»Du? Von mir?«
»Wer glaubt, ausschließlich im Hier und Jetzt zu leben, macht es sich zu einfach.«
»Hört, hört. Jetzt bin ich aber gespannt.« Der Satz entschlüpfte Zoe etwas süffisanter, als sie es gewollt hätte.
Justus lächelte gutmütig. »Jeder hat eine Vergangenheit und eine Zukunft. Über letztere kann er allerdings frei entscheiden, und das habe ich getan. Ich habe durch dich
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