New York für Anfaengerinnen
den Fiorinos denken alle zuerst an Kunst, Kultur und Wohltätigkeit. Meine Mutter leitet die Kinderkrebsstiftung des New York Presbyterian Hospitals. Sie ist Gastgeberin des jährlichen Snowflake Ball, des wichtigsten gesellschaftlichen Ereignisses der Ostküsten-Society.«
»Und dein Vater?«
»Mein Vater ist Professor an der Columbia Med School und leitender Chefarzt der Kinderklinik am NYPS.«
»Du bist also quasi amerikanischer Hochadel?«
»Es gibt gewisse Erwartungen an mich.«
»Und die beinhalten einen Harvard-Abschluss und die Hochzeit mit der Prinzessin von Saba?«
»Nicht ganz. Schweizer Elite-Internat, MBA an der Columbia, Verlagsleitung bei der Plachette-Group in London. Mein kleiner Bruder hat den Part des Mediziners in der Familie übernommen. Er ist Herzchirurg.«
»Dann bist du also das schwarze Schaf der Familie? Wie romantisch!«
»Im Gegenteil. Mein Vater hat es mir immer hoch angerechnet, dass ich meinen eigenen Weg gegangen bin.«
»Und was sagt dein Bruder dazu?«
Tom zögerte erst etwas, dann wurde sein Gesichtsausdruck maskenhaft. »Wir verstehen uns zurzeit nicht so gut«, gab er so offensichtlich bemüht neutral von sich, dass Zoe sich nicht traute, weiterzufragen.
Sie wechselte lieber das Thema: »Und deine Mutter?«
»Die ist dauerbeschäftigt, die farblich passenden Stoffservietten zum jährlich wechselnden Ball-Motto zu finden. Da es immer eine Variante von Weiß sein muss, ist das etwas kniffelig.«
»Vielleicht sollte sie sich einen Eskimo als Berater engagieren. Die haben mindestens fünfzig verschiedene Wörter für Schnee.«
Tom schmunzelte nur.
»Dann kennst du Justus von Schönhoff also aus deiner Kindheit?«
»Wir waren zusammen auf dem Internat und haben fast alle Sommerferien miteinander verbracht. Entweder auf Sylt oder in der Villa der Schönhoffs an der Côte d’Azur. Er war mein bester Freund, und Franziska ist wie eine Mutter für mich.«
Zoe war zugegebenermaßen ein bisschen überwältigt. Eigentlich fühlte sie sich in der globalen High Society ja durchaus zu Hause. Schließlich war sie eifrige Leserin von BUNTE , People , OK! und Star und daher bestens informiert über die Qualen der Erstgeborenen. Wie etwa die von Prinz William von England, der Papa Charles unglücklicherweise zunehmend ähnlich sah und gut daran getan hatte, endlich seine hübsch-unverdorbene Kate Middleton zu heiraten, damit er nicht mit einer Schrulle wie Camilla Parker Bowles endete. Dass es aber solchen Society-Firlefanz außerhalb von Königshäusern (und vielleicht der sehr bürgerlichen und mittlerweile ziemlich weitverzweigten Sippe eines Boris Beckers) gab, war Zoe nicht wirklich geläufig.
So demokratisch die amerikanische Gesellschaft auch erscheinen mochte, wenn man diese Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichten hörte – sie war es nicht. Das hatte Zoe inzwischen mitbekommen. Sie glich eher dem indischen Kastensystem. Der wichtigste Who-is-Who-Multiplikator im Land der unbegrenzten Bankkonten und McMansion-Villen war die Mayflower, dieses Segelschiff, mit dem die sogenannten Pilgerväter 1620 von England nach Amerika geschippert waren. Wer von einem der hundertzwei Mitfahrenden abstammte, war jemand in der US-Society. So einfach war das.
Heutzutage galten zumindest in New York noch ein paar zusätzliche Kriterien: Wohnen Sie auf der Upper East (hocherfreut!) oder auf der Upper West Side (okay)? Dass es in New York insgesamt fünf Stadtteile gab, war der Elite des Big Apple ohnehin völlig schnuppe. Nur Manhattan zählte. Alles andere war gesellschaftliches Sibirien. Sogar das hippe Brooklyn. Liegt Ihr Sommeranwesen in den Hamptons südlich des Highways, sprich am Wasser (hocherfreut!), oder nördlich im Wald (bäh!)? Wohnen Sie in Southampton (altes Geld) oder in Westhampton (neues Geld), auch »Worst Hampton« genannt? Haben Sie eine HYP-Universität besucht? Harvard, Yale oder Princeton, wie der Vater, der Großvater und der Urgroßvater? Ganz zur Not zählte auch noch eine der anderen Ivy-Leagues wie Brown oder Columbia.
So viel hatte Zoe sich selbst zusammengereimt.
Dabei fiel ihr der Große Gatsby ein, mit dem sie auf dem Gymnasium im Englisch-Leistungskurs gequält worden war: Der wollte auch unbedingt dazugehören und durfte nicht. Sehnsüchtig hatte er immer tolle Partys gegeben und auf die andere Seite der Bucht von Long Island gestarrt – hinüber zum grünen Licht. Bis er dann erschossen im Swimmingpool gelegen hatte und keiner seiner feinen
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