New York für Anfaengerinnen
Vielfliegerprogramm erreist. Zur Fashion Week nach London, zur Chanel-Shoperöffnung mit Karl Lagerfeld nach Hongkong, Modeshootings in Kapstadt, ihr wöchentlicher Trip zu Werbekunden und Medienagenturen nach München – die Liste ging endlos weiter. In New York war Zoe allerdings noch nie gewesen. Das kannte sie nur – aber dafür ziemlich gut – aus Sex and the City . Zur dortigen Modewoche flog immer ihre Chefin, die gleichzeitig auch ihre beste Freundin war: Allegra Sollani. Bei der konnte Zoe sich also schlecht beschweren. Und privat war sie ohnehin eher ein Asien-Fan.
Weil der Platz unmittelbar neben ihr immer noch frei war, unterzog Zoe ihre Mitreisenden auf der anderen Seite des Gangs einer eingehenden Betrachtung. Zwei junge Anzugtypen mit zurückgegeltem Haar und jeweils einem iPhone, einem iPad sowie einem dieser papierdünnen Macbooks Air mit Aufkleber »Unternehmensberatung Berg & Partner« im Schoß. Schonungslos kommentierten sie in einer Art heiterem Beruferaten jeden Passagier, der sich durch den Gang bewegte.
»Vorstandsvorsitzender bei einem Reifenhersteller«, flüsterte Berater-Boy eins.
»Nee, oberster Gewerkschafter bei VW auf Lustreise«, grinste Berater-Boy zwei.
»Ex-Frontmann einer Neunzigerjahre-Boyband mit Koksproblem.«
»Frisch fettabgesaugte TV-Seriendarstellerin der C-Klasse auf letzter Shoppingtour, bevor sie ins Dschungelcamp einzieht.«
Dann verloren die beiden den Spaß an der Sache. Berater-Boy eins gähnte herzhaft und streckte seine langen Gliedmaßen von sich, während Berater-Boy zwei maulte: »Im kleinen Airbus macht das viel mehr Spaß. Mit den Holzbank-Heinis, wenn die auf dem Weg zu den hinteren Plätzen ihren Spießrutenlauf durch die Business-Class machen müssen.«
Zoe schüttelte sich angewidert, drehte sich zum Fenster weg und murmelte: »Männer, Kategorie Karrierekotzbrocken, Generation 2.0.«
Nach dem Drei-Gänge-Menü, das immer angenehm lang ausfiel, wenn man wie sie nach Westen flog und Tageslicht hatte, das zurück nach Osten bei Nacht aber einfach nur nervte, schlief Zoe ein.
Rache war eben ein anstrengendes Geschäft.
Zwei Stunden vor der Landung drapierte der Stewart, heutzutage nur noch Flugbegleiter betitelt, erneut ein weißes Tuch auf dem ausgefalteten Tisch am leer gebliebenen Nebensitz, und Zoe wachte auf. Sie hatte quasi drei Viertel des Flugs in ihr neues Leben verschlafen.
Mein neues Leben, dachte Zoe und streckte sich. Fast war sie versucht, Leben zu buchstabieren, L-e-b-e-n. Wie Allegra heute Morgen. Warum? Na, weil das Ganze schon ein großer Schritt für sie war, mal ganz unabhängig von dem untoten Benjamin Nikolaus Nigmann, der sie sicherlich irgendwann heimsuchen würde. Nach insgesamt neun Jahren Journalistenkarriere bei Frauenzeitschriften, darunter drei Jahre als stellvertretende Chefredakteurin von VISION , hatte sich bei Zoe in letzter Zeit ein gewisses Gefühl von been there, done that eingestellt. Irgendwie kamen ihr alle Themen bekannt vor: »Orgasmus: Faken oder Fakten? », »Blutrot! Auf Lippen und auf Nägeln! », »Angelina Jolie: Ich weiß jetzt, was ich von der Liebe will«. Neuerdings wurde sie sogar den Verdacht nicht mehr los, Schlagzeilen für den neuesten VISION -Titel zu fabulieren, die sie bereits vor drei bis sieben Jahren zu der exakt gleichen Geschichte getextet hatte.
Und dazu hatte sie dieses immer stärker werdende, nagende Gefühl ganz tief in sich drin verspürt, dass da noch etwas kommen müsse in ihrem Leben. Etwas, wofür sie so richtig brannte, für das sie morgens nicht nur zufrieden aus ihrem Bett aufstand, sondern noch vor dem Weckerklingeln begeistert heraushüpfte. Etwas Eigenes. Etwas, das Substanz hatte. Nur was? Schließlich hatte sie damals in der Abizeitung ganz kühn angegeben, die Welt verändern zu wollen. Also was? Eine Yogaschule auf Ibiza aufmachen und anderen Erleuchtung bringen? Tierschützerin im afrikanischen Busch werden? Eine CO 2 -neutrale Eisdielenkette mit Biojoghurteis und Sorten wie Grüner Tee, Lavendel oder Schokoreispudding gründen?
Selbst Allegra war Zoes nervöse Unzufriedenheit aufgefallen. »Du brauchst einen neuen Spielplatz, meine Liebe«, hatte sie vor eineinhalb Jahren angeordnet, wollte Zoe aber nicht zu einem anderen Blatt im Hause Schönhoff weiterziehen lassen. Was ja letztendlich auch nicht geholfen hätte.
Doch dann kam Zoe die zündende Idee.
Benni, der sich nach einem abgebrochenen Studium der Literaturwissenschaft und ein paar Semestern
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