New York - Love Story
Köder aus. »Wir gehen jetzt
zu eurer Ballettstunde – und heute Nachmittag backe ich mit
euch echte deutsche Süßigkeiten. Plätzchen!« Das letzte Wort
habe ich auf Deutsch gesagt. Sie haben also keine Ahnung,
was sie erwartet. Aber mit Süßigkeiten kriegt man Gwyn und
Gwen garantiert. Sie schnappen sich ihre Sporttaschen und
sind aus dem Zimmer gerast, bevor ich es geschafft habe,
mich vom Boden zu erheben. Im Stillen danke ich meiner
Mom, die es sich trotz meiner – und ihrer eigenen – wenig
ausgeprägten Küchentalente nie hat nehmen lassen, mit mir
in der Vorweihnachtszeit Plätzchen zu backen.
Bunte Zuckerperlen, Lebensmittelfarbe und Schokostreusel
– kriegt man so etwas überhaupt in New York mitten im
Sommer? Auf dem Rückweg vom Tanzunterricht lasse ich
das Taxi vor dem Delikatessengeschäft anhalten, in dem ich
für Madeleine bereits mehrfach Einkäufe erledigen musste.
Im Regal für Partybedarf werde ich fündig. Zwar habe ich
den Eindruck, dass die Backutensilien hier mit Gold aufgewogen
werden, aber ich trage meine Plastiktüte stolz zurück
in den wartenden Wagen.
Gleich bei unserer Rückkehr stürmen wir die Küche und
vertreiben Danuta aus ihrem Revier.
»Milch, Eier, Mehl«, weise ich die Zwillinge an. Unschlüssig
stehen sie vor den glänzenden Schubladen. Sie scheinen
nicht zu wissen, wo sich die Grundzutaten verstecken.
»Habt ihr noch nie etwas gekocht?«, frage ich überrascht.
»Das dürfen wir nicht«, erklärt Gwyn.
»Viel zu gefährlich«, fügt Gwen belehrend hinzu.
Ich seufze stumm und rufe nach Danuta, die grummelnd
wieder angewackelt kommt.
Mit ihrer Hilfe sind die benötigten Lebensmittel schnell
gefunden. Nur Zucker gibt es in diesem Haushalt nicht, wie
mir die Haushälterin erklärt. Ihrem Kopfschütteln entnehme
ich, dass sie von Madeleines Süßwarenphobie ebenso wenig
hält wie ich. Sie streckt mir eine Flasche mit einer bräunlichen
Flüssigkeit hin.
»Ahornsirup«, sagt sie und ihre Stimme trieft vor Ironie.
»Fast dasselbe wie Zucker.«
Okay. Dann muss es eben damit gehen.
Der Teig ist schnell gerührt (Turbo-Küchenmaschine sei
Dank!) und ausgerollt. Das Ausstechen gestaltet sich schwieriger,
denn es gibt keine Förmchen. Wir behelfen uns mit Gläsern
und schneiden mit Küchenmessern große Formen selbst
aus.
»Iih, das klebt«, quietschen die Zwillinge.
»Ihr müsst es ablecken«, erkläre ich ihnen und stecke mir
demonstrativ einen Finger in den Mund.
Zunächst begutachten sie mich wie eine Geisteskranke.
Vorsichtig lutschen sie an ihren Fingerkuppen.
»Hm, lecker«, befindet Gwyn.
»Sehr lecker«, bestätigt Gwen.
Fortan habe ich den Eindruck, dass mehr Teig in den Kinderbäuchen
landet als auf dem Backblech. Ich lächle. So
muss das sein!
Trotzdem haben wir nach kurzer Zeit drei Bleche mit Kreisen,
Sternen und Herzen gefüllt. Während die Plätzchen im
Ofen braun werden und ein herrlicher Duft die sonst so sterile
Küche erfüllt, machen wir uns an die Zubereitung des
Zuckergusses. Puderzucker habe ich in dem Delikatessenladen
zwar nicht gefunden, dafür aber
Icing-Mix,
zu dem man
nur noch Wasser hinzufügen muss. Die Neonfarben der Glasur
lassen mich beinahe erblinden.
»Kann man das auch lecken?«, fragt Gwyn unsicher.
»Klar.« Ich zwinkere ihr verschwörerisch zu.
Gierig stecken die Zwillinge ihre Finger in die Becher und
schlabbern die Zuckermasse. Noch bevor die ersten fertigen
Plätzchen auf den Tisch kommen, sind die beiden bereits von
oben bis unten voller Glasur. Gwen hat einen grünen Klecks
auf der Nase und mehrere pinkfarbene Haarsträhnen. Über
Gwyns weißes Kleidchen ziehen sich hellblaue Streifen. Ich
lache und öffne die bunten Zuckerstreusel.
Danuta hat die Küche bereits vor einiger Zeit wieder verlassen,
um nicht »am Tatort« erwischt zu werden, wie sie erklärte.
Ich weiß genau, dass wir hier Verbotenes tun. Und die
Zwillinge wissen es, glaube ich, auch. Aber das erhöht nur den
Reiz des Ganzen! Außerdem hoffe ich, dass wir das Chaos beseitigt
haben werden, bevor Madeleine nach Hause kommt.
Ich greife nach einem großen Herz und schmiere rotes
Icing drauf. Einen kurzen melancholischen Moment lang
erinnere ich mich, wie ich mit Simon an Pfingsten auf der
Kirmes war. Da hat er mir – nachdem ich ausgiebig darum
gebeten hatte – ein riesiges Lebkuchenherz mit Zuckerschrift
gekauft: »Für immer dein« stand drauf. Kitschig. Ich gebe es
zu. Aber das Herz hängt noch immer am Schrank im meinem
Zimmer und hat bisher
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