New York - Love Story
er maßgeschneidert
für mich. Erst als ich das Kleid anhabe, bemerke ich, dass es
kurz geschnitten ist, vorn reicht es mir gerade auf die Oberschenkel,
hinten jedoch ist eine bodenlange Schleppe aus
rotem Tüll befestigt. Viel zu extravagant, das habe ich doch
gleich gesagt.
Ich drehe mich einmal um meine eigene Achse auf der
Suche nach einem Spiegel, kann in der Umkleide aber keinen
entdecken. Ich luge an dem Vorhang vorbei. Die Verkäuferin
steht erwartungsvoll davor. Auch das noch!
Todesmutig trete ich aus der Umkleide heraus und bemerke
erstaunt, wie sich doch noch ein Lächeln auf dem Gesicht
der Frau ausbreitet.
»Perfect«, stellt sie zufrieden fest, als wäre das ihr eigenes
Werk. Sie winkt mich zu einem schnörkelig gerahmten Standspiegel.
Ich hole tief Luft und trete davor. Als ich mein Spiegelbild
erblicke, vergesse ich leider, wie man wieder ausatmet.
Dieses Mädchen, das mich aus seinen grünen Katzenaugen
skeptisch anschaut, kann unmöglich ich sein. Dieses Mädchen
sieht aus wie eine Prinzessin! Eine ziemlich ungewöhnliche
Prinzessin, zugegeben: mit wirr hochgesteckten Locken
und nackten Füßen. Aber mit einem Wahnsinnskleid!
Unter den hellen Deckenstrahlern des Ladens schimmert
der dunkelrote Stoff wie mit glitzernden Fäden durchwirkt
und die Schmetterlinge treiben darauf bei jeder Bewegung
ihr verwirrendes Spiel. Aber das Unglaublichste ist: Das Kleid
passt mir tatsächlich wie angegossen. Ein geraffter Ausschnitt
kaschiert die fehlende Oberweite, und der Schnitt betont
meine schmale Figur, ohne dass ich darin dürr wirke.
»Es ist fantastisch«, stoße ich ehrfürchtig aus.
»Danke!« Die Verkäuferin lacht. Mit einem Mal ist sie mir
richtig sympathisch. »Ich habe es selbst geschneidert.«
»Wow!« Ich werfe ihr einen bewundernden Blick zu.
»Leider hat es bisher keiner meiner Kundinnen gepasst.
Ich habe mich wohl ein bisschen bei der Kleidergröße verschätzt.«
Sie zuckt mit den Schultern. »Möchtest du es haben?«
Ich nicke. Schüttele dann aber schnell den Kopf und schaue
noch einmal bedauernd in den Spiegel. »Ich fürchte, das kann
ich mir nicht leisten.«
»Gib mir fünfzig Dollar dafür. Dann habe ich wenigstens
das Material wieder raus.«
»Wie bitte?« Ich bin mir sicher, dass ich mich verhört habe.
»Schon okay«, sagt sie. »Und jetzt mach, dass du hier rauskommst,
bevor ich es mir anders überlege.«
Mit einem idiotischen Grinsen im Gesicht stürme ich
zurück in die Umkleide und ziehe mir im Eiltempo wieder
meine Sachen an. Mit einer unscheinbaren Papiertüte und
dem Gefühl, das schönste Kleid der Welt erstanden zu haben,
verlasse ich kurz darauf das Geschäft »Second Chance«.
Bevor ich die Zwillinge ins Bett bringe, habe ich kurz Gelegenheit,
meine Mails zu checken. Madeleine hat sich im
Ankleidezimmer verschanzt, um sich für den Abend zurechtzumachen.
Sie weiß immer noch nicht, dass ich ihren Familiencomputer
benutze. Selbst schuld, wenn man sich keine
vernünftigen Passwörter einfallen lässt!
Tatsächlich habe ich eine ungelesene Mail im Posteingang,
die Maja am späten Abend (deutsche Zeit) an mich geschickt
hat.
Niki-Schatz, mir ist das oberpeinlich, aber mir fällt nichts mehr
ein! Ich habe den ganzen Abend mit Mario vor dem Rechner gehangen
und nach dieser Agentur gesucht. Nichts! Ich fürchte,
jetzt musst du auf dein Schicksal vertrauen. So wie ich! XOXO,
Maja
Was soll das denn heißen? Aufs Schicksal vertrauen? Zu viel
Serendipity
geguckt, denke ich. Und plötzlich habe ich einen
Geistesblitz. Ich drücke auf
Antworten.
Wie wild hämmere
ich in die Tasten.
Sag mal, Maja-Maus. Was läuft da eigentlich mit Mario? Ich habe
das Gefühl, du verschweigst mir etwas. Hast du was mit dem
Computer-Freak? Oder hättest du es gern? Ich bitte um zügige
Aufklärung! XOXO, Niki
»We want Aschenputtel«, rufen die Zwillinge im Chor, als
ich ihr Zimmer betrete. Sie haben bereits ihre Nachthemden
an – danke! – und hocken auf dem Bett.
»Aber heute ist französischer Abend«, erinnere ich sie. Als
Antwort ziehen beide einen Schmollmund.
»Wir wollen aber lieber Aschenputtel hören«, wagt Gwyn
einen Vorstoß.
»Ja, und andere deutsche Märchen«, fügt Gwen hinzu.
Immerhin haben sie sich den Namen der Märchenfigur
auf Deutsch gemerkt. Auch eine Art Sprachübung, denke ich.
Außerdem ist meine Motivation, ihnen eine Gutenachtgeschichte
auf Französisch vorzulesen, bekanntlich gering. Also
haben die beiden leichtes Spiel.
»Na gut«, sage ich, »ich
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