New York - Love Story
Mode und bezahlbar
scheinen in New York zwei Worte zu sein, die nicht kombinierbar
sind. Da fällt mir nur Secondhand ein. Gibt es nicht vielleicht
einen Oxfam auf der Upper East Side? Garantiert hängen da die
ganzen Edelfummel von den Society-Ladys. Zu den anderen
Fragen: muss mal nachdenken! Und Mario fragen, der kennt
sich mit Internetrecherche noch viel besser aus als ich. XOXO,
Maja
Nicht sehr hilfreich, muss ich sagen! Obwohl die Idee mit
dem Secondhandladen gar nicht so übel ist. Ich öffne eilig
Google und überprüfe die Lage. Ja, es gibt einen in Manhattan
und auch gar nicht weit entfernt von hier.
Die Zwillinge sind gerade mit ihren Geigenübungen beschäftigt,
ich kann sie bis ins Arbeitszimmer hören. Vielleicht
kann ich Danuta bitten, sie für eine halbe Stunde im Auge zu
behalten. Oder besser gesagt: im Ohr.
Der Laden mit dem passenden Namen »Second Chance«
versteckt sich fast ein bisschen verschämt im Untergeschoss.
Eine Treppe führt hinunter zur Eingangstür. Maja hatte
recht: In dem kleinen Schaufenster hängen zwei ausgewählte
Teile: ein graues Designer-Kostüm und ein bläulich schimmerndes
Abendkleid. Beim Blick auf die dezenten Preisschildchen
mache ich beinah auf dem Absatz meiner Chucks
wieder kehrt. Selbst aus zweiter Hand sind diese Klamotten
unbezahlbar! Doch wo ich jetzt schon mal hier bin, kann ich
auch gleich hineingehen und mich umschauen.
Eine Glocke klingelt hell, als ich die Tür aufstoße. Sofort
taucht eine Verkäuferin mittleren Alters aus dem Nichts auf.
Ihre Haare hat sie im Nacken zu einem so strengen Knoten
gezurrt, dass ihre Frisur ihr das Facelifting ersetzt. Ein Lächeln
ist damit leider nicht möglich.
»May I help you?«, fragt sie und betrachtet mich hochnäsig
von oben bis unten. Wahrscheinlich überlegt sie gerade, wie
sie mich möglichst schnell wieder aus ihrem Geschäft entfernen
kann.
»Ich möchte mich nur mal umsehen«, entgegne ich und
versuche mich an einem arroganten Gesichtsausdruck. Eigentlich
bin ich nicht gut in so etwas, aber in den vergangenen
zwei Wochen bin ich durch eine gute Schule gegangen.
Die Verkäuferin lässt mich auf jeden Fall in Ruhe.
Groß ist der Laden nicht. Insgesamt gibt es hier nur fünf
lange Stangen, an denen die Modelle hängen, die ihren Erstbesitzerinnen
zu unmodern geworden sind. Mit langen
Fingern streiche ich vorsichtig über Kaschmirpullover und
Seidenblusen. Die Verkäuferin schnaubt leise, doch ich ignoriere
sie. An der gegenüberliegenden Wand entdecke ich hinter
einer ausladenden Palme schließlich die Abendkleider.
Gucken kostet nichts, erinnere ich mich selbst und nähere
mich wagemutig der Pracht.
Pailletten, Goldfäden, Spitze – alles ist vorhanden. Nur die
Preise sind leider wirklich unbezahlbar. Wehmütig fahre ich
über einen weich fließenden Traum aus cremefarbenem Chiffon.
Die Verkäuferin in meinem Rücken röchelt. Wahrscheinlich
kriegt sie gleich einen Herzinfarkt. Ich will mich schon
abwenden und sie von ihrer Qual erlösen, da fällt mein Blick
auf ein dunkelrotes Etwas ganz am Ende der Stange. Langsam
nähere ich mich diesem Kleid, das anders ist als alle anderen
Ballkleider in diesem Laden. Als ich es auf seinem gepolsterten
Bügel von der Kleiderstange nehme, weiß ich auch warum: Es
ist über und über bestickt mit knallbunten Schmetterlingen.
Auf dem seidig glänzenden Grund scheinen die Tierchen zu
schweben und sanft mit ihren Flügeln zu schlagen, als wollten
sie jeden Moment abheben und davonfliegen.
Nein, dieses Kleid ist nichts für mich! Mal davon abgesehen,
dass ich es mir unter Garantie nicht leisten kann (ein
Preisschild scheint es nicht zu geben), ist es auch viel zu extravagant.
»Would you like to try it on?« Die Verkäuferin hat sich so
leise genähert, dass ich erschrocken zusammenzucke, als ich
plötzlich ihre Stimme direkt hinter mir höre.
»No, thank you«, murmele ich und will das Kleid zurück
zu den anderen hängen. Doch die Verkäuferin nimmt es mir
energisch aus der Hand.
»Try it on!«, sagt sie und trägt den Bügel zu der kleinen
Umkleide, die mit einem schweren blauen Samtvorhang abgeteilt
ist. Verwirrt folge ich ihr.
Ich schäle mich aus meiner Jeans und meinem Shirt und
schlüpfe in das rote Kleid, das die Verkäuferin mir in die Umkleide
gehängt hat.
Wahrscheinlich passt es gar nicht,
denke
ich in Erinnerung an die lächerliche Erscheinung, die ich in
Madeleines Kleidern abgegeben habe. Doch der Stoff gleitet
über meinen schmalen Körper, als wäre
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